Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

DOI issue:
Heft 10
DOI article:
Bernard, Émile: Erinnerungen an Paul Cézanne, [1]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0439

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
„Herr Paul Cezanne, wenn ich fragen darf? Er
trat einen Schritt zurück, zog, sein kahles Haupt
entblüssend, den Hut bis zur Erde und sagte: „Das
bin ich. Was wünschen Sie:" Ich erklärte ihm
den Zweck meines Besuches und bat um die Er-
laubnis ihn zu begleiten.

Auf der Strasse verhöhnten ihn die Gassen-
buben und warfen Steine nach ihm; ich trieb sie
auseinander. Der Brigantenerscheinung Ce'zannes
gegenüber hatte der Spott dieser Kinder jedoch
einige Berechtigung. Er musste ihnen wie eine
Art „komische Figur" vorkommen. Ich litt später
häufig unter den Bosheiten und Possenstreichen,
mit denen die Gassenjugend vonAix ihn auf seinen
Wegen verfolgte.

„Hier ist mein Atelier", sagte er geheimnis-
voll*, „ausser mir darf niemand hinein, aber da
Sie als Freund kommen, gehen wir zusammen."
Unter einem grossen Stein holte er einen Schlüssel
hervor und öffnete das neue stille Flaus. In einem
offenstehenden Zimmer fiel mir ein sehr alter Wand-
schirm auf:

„Hinter diesem Wandschirm haben ich und
Zola oft gespielt," sagte er, „wir haben sogar die
Blumen darauf verdorben." Er bestand aus an-
einander gefügten Teilen, die mit reichem Blatt-
werk, Blüten hier und dort und ländlichen Scenen
bemalt waren. Aber es war eine gewandte, wohl
italienische Hand, die ihn geschmückt hatte. „Das
ist Malerei", sagte Cczanne zu mir, „es giebt nichts
Schwierigeres als dies. Darin steckt das ganze Me-
tier, alles." Auf dem Kamin stand eine angefangene
Büste in Terrakotta, sie sollte Cczanne vorstellen.
„Die hat Solari gemacht, ein armer Teufel von
Bildhauer, ein guter alter Freund von mir. Ich
habe ihm oft gesagt, dass er sich festrenne mit
seiner Academie des Beaux-Arts, er flehte mich an,
ihn gewähren zu lassen. Ich sagte ihm: „Du weisst,
ich liebe keine Pose. Komm in das untere Zimmer,
wenn du willst, ich arbeite oben. Wenn Du mich
siehst, beobachte, und dann mache Dich an die Ar-
beit." Schliesslich hat er es aufgegehen, indem er
diesen Dreck zurückliess, es ist trostlos! Darauf
nahm er die kleine Büste und trug sie in den Gar-
ten, wo er sie zornig mit dem Fuss fortstiess, dass
sie zerbrach. Das verunglückte Bildnis rollte unter
die Olivenbäume in den Kies, wo es während der
ganzen Zeit meines Aufenthaltes in Aix verblieb,
bis es zuletzt in der Sonne zerbröckelte.

Wir sprachen von Zola, den die Dreyfuss-Affaire
* In einem Garten vor der Stadt. Anm. d. Red.

zum
ein

,Helden des Tages" gemacht hatte: „Er war
...e sehr mittelmässige Intelligenz", sagte Cczanne,
„und ein grundschlechter Freund, er sah nur sich,
und so ist „rOeuvre", in dem er mich zu schildern
behauptete, nur eine abscheuliche Entstellung, eine
Lüge allein zu seinem Ruhm. Als ich nach Paris
kam, um die Bilder für Saint-Sulpice zu machen —
in meiner Naivität damals kannte mein Ehrgeiz
keine höheren Ziele und ich war sehr fromm er-
zogen worden — begegnete ich Zola wieder. Er
war mein Schulkamerad gewesen, wir hatten zu-
sammen gespielt und er dichtete. Ich machte eben-
falls Verse, lateinische und französische. Ich war
in Latein stärker als er und hatte in dieser Sprache
ein ganzes Stück verfasst. Damals erhielt man noch
eine gute Gymnasialbildung." Hieran anknüpfend,
kam das Gespräch auf die Unzulänglichkeit der
modernen Erziehung, worauf Cczanne nach einigen
Zitaten aus Horaz, Virgil und Lucretius wieder den
Faden seiner Rede aufnahm: „Als ich also in Paris
ankam, machte Zola, der mir, ebenso wie Bail,
einem verstorbenen Kameraden, la Confession de
Claude gewidmet hatte, mich mit Manet bekannt.
Ich war von diesem Maler und seiner freundlichen
Aufnahme sehr eingenommen, aber meine natür-
liche Schüchternheit hinderte mich, ihn öfter zu
besuchen. Zola wurde unzugänglicher, je mehr sein
Ruhm sich festigte und schien mich nur aus Höf-
lichkeit zu empfangen, so dass es mir schliesslich
widerstand, ihn zu sehen, und ich ihn Jahre lang
nicht mehr aufsuchte. Eines schönen Tages erhielt
ich i'Oeuvre'. Das war ein Schlag für mich, ich
erkannte nun seine wahre Meinung über uns. Es
ist entschieden ein sehr schlechtes Buch und voll-
kommen falsch." Cczanne schenkte sich und.mir
Wein ein, und die Unterhaltung kam auf dies Ge-
tränk: „Sehen Sie, der Wein hat viel Schaden unter
uns angerichtet", sagte er. „Mein Landsmann Dau-
mier trank sehr viel: welch grosser Meister wäre
er ohne das geworden."

(Am nächsten Tage im Atelier vor der Stadt)
„Man kann bei Niemand mehr etwas durchsetzen.
Ich habe hier auf meine Kosten bauen lassen, aber
der Architekt wollte sich nie nach meinen Wün-
schen richten. Ich bin schüchtern, ein Boheme,
man verspottet mich", schrie er. „Ich habe keine
Widerstandskraft. Es geschieht mir schon recht,
dass ich vereinsamt bin. Wenigstens aber kann
mir hier keiner etwas abluchsen."

Er arbeitete an einer Leinwand, die drei Toten-
köpfe auf einem orientalischen Teppich darstellte.

42;
 
Annotationen