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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 11
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Veth, Jan: Rubens in Antwerpen und Brüssel
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0481

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Rubens, und wir, mit unserem vielleicht dekaden-
ten Sinn für das Hypersaubere, das Vertiefte, das
Verfeinerte, wir mit unserer Neigung zum Un-
gewöhnlichen , Ungemischten, Unnachspürbaren,
wir mit unserer Liebe für die stolz-treuherzigen
van Eycks, für den gemütsinnigen Memling, für
den nüchtern-stattlichen Bouts, für den würdig-
wehmütigen Rogier: wir sind auf den unruhigen,
unruhezeugenden Peter Paul, gerade herausgesagt,
nicht recht gut zu sprechen.

In den meisten Fällen scheint es uns sicher und
angemessen, dem feuerspeienden Berg, der Rubens
war, so' ein bischen aus dem Weg zu gehen. Der
Rubens-Saal im Antwerpener Museum ist wohl ein-
mal schmälend die Fleischhalle genannt worden,
und in verschiedenen andern grossen Museen findet
man Lokalitäten mit ebenso negativer Anziehungs-
kraft. Die ihnen innewohnende Ostentation lässt
es uns unbehaglich zu Mute werden, und wir be-
greifen eher die Überlieferung, nach der Papa
Ingres, so oft er die Galerie mit den Gemälden aus
dem Leben der Maria von Medici passieren musste,
seinen Regenschirm aufspannte, um soviel An-
stössiges vor seinen beleidigten Augen zu ver-
decken, als uns die schwärmerische Bewunderung
für Rubens in den Kopf will, die Delacroix sein
ganzes Leben lang mit sich herumgetragen hat.

Als Dante Gabriel Rossetti im einundzwanzigsten
Jahr mit Holman Hunt auf dem Kontinent reiste,
schrieb er aus der Fülle seines masslosen Erstaunens
über die Werke des vlämischen Giganten eine Art
Fluchsonett, das in seiner ersten Strophe ziemlich
unverhohlen die Gefühle der meisten jungen Maler
auch von heute wiedergiebt:
Non noi pittori! God of Natures truth
If these, not we! Be it not said, when one
Of us goes hence: "As these did, he hath done;
His feet sought out their footprints from his youth."

Wenig in der That in Rubens befriedigt oder
erfüllt gar unsere gegenwärtigen Maleransprüche.
Bei ihm — so klagen wir, wenn wir allein auf
seine Formensprache achten — nirgends ein Stück
Strammheit, eine aufrechte Haltung, ein straffer
Ausdruck; immer die geschmacklos quabbeligen
Ausbuchtungen, die frei und lose gewurstelten Kon-
turen, die unruhig verrenkten Bewegungen, das so
lärmend sich äussernde Gebärdenspiel. Wenn er
nur ein einziges Mal irgendwo etwas gemacht hätte,
was einfach fest auf den Füssen stünde, — aber seine
Figuren scheinen alle bereit, so vom Fleck weg
einen Salto mortale auszuführen. Uns hindert der

geschwollene Bombast, der für tiefere Ziele keinen
Platz mehr lässt. Unsere nachdenkende Verschlossen-
heit, unser auf das Innerliche gerichteter Träumer-
sinn kann solche aufbrausende Malerleidenschaft
nicht mehr vertragen. Und ich für mein Teil habe
es schon als Knabe dem Fromentin übel genom-
men, dass er so entzückt über Rubens schreiben
konnte, in einem Buch, das für Rembrandt keine
ungemischte Bewunderung übrig hatte.

Wir sind nun einmal so: unsere wenig
gläubige Zeit beugt sich lieber vor Äusserungen
innigerer Frömmigkeit; das Zuchtlose, worin die
Kunst sich heutzutage ungestraft ergeht, rächt sich
heimlich in dem Wählerischen des Kunstgeschmacks,
der die ungezügelte Kraft des Rubens kaum anders
als degoütant nennt; der Blutarmut des modernen
Malers fährt bei solcher überladenen Verve das
kalte Fieber in die Glieder. Und im allgemeinen
ist es so bestellt, dass wir, die wir nur allzu schwer-
lich mit einer abgerundeten Lebensauffassung her-
vortreten könnten , kaum zögern , selbst ganz ele-
mentare Lebensorfenbarungen wie die seinen, rund-
weg abzulehnen.

Es ist nicht zu verkennen: bei allem, was die
Malerei des letzten halben Jahrhunderts beeinrlusst,
■was den besten Malern dieser Zeit vor Augen ge-
standen hat, spielt Rubens keine Rolle. In dem
Geisteszustand der jüngsten Generationen vergegen-
wärtigt der Begriff Rubens keine lebenweckende
Kraft. . . Aber doch kennzeichnet dies alles mehr
die unbeständigen Neigungen selbst dieser Periode,
die uns wirklich bis zum Überdruss als Über-
gangszeit vorgehalten worden, als dass man daraus
die absolute Bedeutung einer Figur wie Rubens
ermessen könnte. Denn gegenüber einer Erscheinung
von solcher Allure kann die Frage, ob sympathisch
oder nicht, doch kaum mehr genügen, und selbst
in Stimmungen, in denen wir uns mit dem ent-
schiedensten Unwillen von ihm abwenden, be-
greifen wir doch noch immer, dass wir es mit
einem Riesen zu thun haben. Dies letzte nun
wird uns immer zwingen, zu ihm zurückzukehren.
Den Homer der Malerei hat ihn Delacroix nicht
weniger als dreimal in seinem Tagebuch genannt,
und in der That lebt und atmet in Rubens etwas
von derselben elementaren Kraft, die das antike
Epos trägt, und diese Kraft ist es, die jede wesent-
lich breite Kunstauffassung allezeit zwingen wird,
mit ihm zu rechnen.

Es ist eben der Abstand, der ihn von fast allem
scheidet, was wir am höchsten stellen, der es uns

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