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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 12
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Muthesius, Hermann: Die Architektur auf den Ausstellungen in Darmstadt, München und Wien
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fassung in erster Linie kunstgewerbliche Ausstel-
lungen sind. Die hessische Landesausstellung für
freie und angewandte Kunst in Darmstadt zeigt
vielleicht noch am ehesten die Merkmale des früheren
Kunstgewerbes, sie kann in gewissem Sinne als Fort-
setzung der Kunstgewerbeausstellung in Dresden
1908 betrachtet werden. Der Grundbestand ist, wie
in jener Ausstellung, eine sehr lange Reihe mehr oder
weniger „kunstgewerblich" gehaltener Innenräume,
und auch die kunstgewerblichen Einzelerzeugnisse
spielen noch ihre Rolle. Im übrigen ist die Aus-
stellung, die ihrem Programm nach eine Dokumen-
tation der gegenwärtigen gewerblichen Leistungen
des hessischen Landes sein sollte, fast ausschliesslich
auf zwei Künstler gemünzt: Olbrich*, den ältesten
Ansässigen der Darmstädter Künstlerkolonie, und
Alwin Müller, den neusten Zuzügler. Wenn etwa
die Absicht vorgelegen hat, zu zeigen, dass die
hessische Industrie auch ohne die vom Grossherzog
nach Darmstadt gezogenen Künstler in Ehren be-
stehen könne, so wäre durch die Ausstellung eher
das Gegenteil erwiesen. Sie trägt durchaus das
einheitliche künstlerische und sogar persönliche Ge-
präge, wie es die junge Generation in zehnjähriger
Arbeit geschaffen hat. Sie ist eine Künstlerausstellung.
Und das ist für eine Schaustellung von Dingen, die
sich an das GeschmacksempHnden der Menschen
richtet, ein Vorzug. Ob Olbrich aus Wien oder
Alwin Müller aus Magdeburg hinzugezogen sind,
ist dabei für die Welt ziemlich gleichgiltig. Übrigens
erscheint der Begriff der hessischen Landeskunst
ziemlich frei bestimmt. Die in Berlin thätigen
Architekten Messel und Ludwig Hoffmann sind in
Darmstadt geboren; ihre an anderen Orten aus-
geübte Thätigkeit kann kaum als hessische Kunst
angesprochen werden. Sind aber hier immerhin
noch wenigstens äusserliche Beziehungen vorhanden,

* Anm. der Red: Inzwischen ist Joseph Olbrich, einund-
vierzigjährig erst, gestorben. Sein ungeheuer begabtes, flinkes,
weiches, schaffensfrohes und auch unbedenkliches Wienerthum
hat zehn Jahre lang im Reiche unendlich anregend gewirkt
und lebhafte Bewegung allerorten hervorgerufen. An ihm,
dem die Gestaltung allzuleicht oft aus dem Handgelenk
floss, war sehr viel zu loben und mehr oft noch zu tadeln.
In der „Bewegung" war dieser Vielgewandte unstreitig das
stärkste Temperament, wenn man dieses Wort nicht gar zu
tief fasst; und weil er die Jugend zu neuen Zielen mit sich
fortzureissen wusste, bleibt da wo er stand eine merkbare Lücke.
Mit ihm stirbt sozusagen die Jugendliche der ganzen Bewegung,
stirbt der notwendige enflammierende und fruchtbare Irrtum
eines bewegten Jahrzehntes. Er war der Mann des wirkungs-
vollen dekorativen Einfalls; der Arbeit nützlicher Beschränkung,
traditionskräftiger Sachlichkeit, und produktiver Erfindungs-
kraft, die nun beginnen soll, beginnen muss, wenn das Unter-
nommene Bestand haben soll, hätte sich seine stürmische Selbst-
gefälligkeit kaum einzuordnen verstanden.

so bleibt völlig unaufgeklärt das plötzliche Auf-
treten der Dresdner Architekten Lossow, Kühne
und Fritz Schumacher, die doch mit Hessen rein gar
nichts zu thun haben.

Gut gelungen ist die Gesamtanlage der Aus-
stellung, wie sie Olbrich und Alwin Müller ge-
schaffen haben. Olbrich hat als neues Wahrzeichen
von Darmstadt einen hochherausragenden Turm
errichtet, der dauernd erhalten bleiben soll, einen
Turm von durchaus origineller Form, wie man ihn
von Olbrich erwarten musste, von einer Form,
die das Urteil der Zukunft über die Kunst des
beginnenden 20. Jahrhunderts in die Schranken
fordern wird. Die Art, wie sich der Turm auf der
höchsten Erhebung der Mathildenhühe als Wahr-
zeichen von Darmstadt erhebt, wie sich das Gebäude
für freie Kunst an ihn anlegt und wie das Hoch-
plateau mit Terrassen auf die etwas tiefer liegende
Umgebung übergeleitet wird, berührt sehr wohl-
thuend. Die architektonische Gartengestaltung
feiert wieder Triumphe und bietet dem Auge in
der That entzückende Bilder. Nicht ganz so frei
wie Olbrich konnte Alwin Müller mit dem Gebäude
für angewandte Kunst schalten und walten, das
mit seinem reichen Raumprogramm einem wink-
ligen vorhandenen Bauplatze eingegliedert werden
musste. Der Mittelpunkt der Anlage Müllers ist
ein keramischer Hof für ein Badehaus in Nau-
heim, ausgestellt von der grossherzoglichen kerami-
schen Manufaktur, die seit wenigen Jahren unter
der trefflichen Leitung Scharvogels einen bedeuten-
den Aufschwung genommen hat. Links und rechts
schliessen sich jene, von den letzten Kunstgewerbe-
ausstellungen gewohnten, langen Folgen von Innen-
räumen an, die ein so hohes Mass von Aufnahme-
fähigkeit beim Besucher voraussetzen. Bei weitem
die meisten Innenräume rühren von Alwin Müller
her, dessen Arbeitskraft Bewunderung erregen muss.
Viele steigern sich zu Prunk und zeigen eher ein
Übermass von kunstgewerblicher Entfaltung.

Ausser den beiden grossen Ausstellungsgebäu-
den mit ihrem Inhalte werden auf der Ausstellung
noch eine Anzahl von Villen und Arbeiterwohn-
häusern vorgeführt. Die Entwürfe zu den Arbeiter-
häusern hat der rührige hessische Zentralverein für
Errichtung billiger Wohnungen auf Grund eines
Preisausschreibens aufführen lassen. Sie sind sehr
instruktiv und sind sehr wohl geeignet, dem be-
suchenden Publikum ein neues Interesse für die sehr
wichtige Frage der billigen Wohnungen abzuge-
winnen. Die Häuser sind auf wirtschaftlich rich-

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