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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 12
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Bernard, Émile: Erinnerungen an Paul Cézanne, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0547

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physischer Ermattung eine Art von geistiger Erschöp-
fung eintritt,und zweitens, weil sie mich anregenlhnen
wahrscheinlich etwas zu o ft zu wiederholen, wie hart-
näckig ich der Verkörperung Dessen nachgehe, was
uns in der Natur als Bild erscheint. Und die These
entwickeln heisst — welches auch unser Tempera-
ment oder unsere Kraft der Natur gegenüber sein
mag — das Bild Dessen zu geben, was wir sehen
und dabei Alles zu vergessen, was vorher gewesen
ist. Dies glaube ich, würde dem Künstler dazu
verhelfen, seine ganze Persönlichkeit, sei sie gross
oder klein, zu geben.

Im Alter von etwa siebzig Jahren hindert mich
das farbige Flimmern des Lichtes, meine Leinwand
zu decken und die Abgrenzung der Gegenstände zu
verfolgen, wenn die Berührungspunkte sehr dünn
und zart sind. Andrerseits schwirren die Flächen
durcheinander, weshalb der Neo-Impressionist die
Konturen mit einem schwarzen Strich umzieht, ein
Fehler, der mit aller Macht bekämpft werden müsste.

Nur die zu Rate gezogene Natur giebt uns die
Mittel unser Ziel zu erreichen. Ich erinne mich
wohl, dass Sie in T . . . . waren, aber durch die
Schwierigkeit mich zu Haus einzurichten, war ich
gezwungen mich meiner Familie ganz zur Verfügung
zu stellen, was diese ausnutzt und mich darüber ein
wenig vergisst. So ist das Leben; in meinem Alter
müsste ich etwas mehr Erfahrung haben und sie
fürs allgemeine Wohl anwenden. Ich schulde Ihnen
Wahrheit in der Malerei und werde sie Ihnen sagen.

Ihr alter

Paul Cezanne.
Aix, 21. September 1906.
Mein lieber Bernard.

Ich befinde mich in einem solchen Zustand cere-
braler Störungen, so ernster Störungen, dass ich
einen Moment fürchtete, meinen schwachen Ver-
stand zu verlieren. Nach der furchtbaren Hitze,
unter der wir zu leiden hatten, haben sich unsere
Gemüter in der milden Temperatur wieder etwas
beruhigt, und es war hohe Zeit dazu; jetzt geht es
mir besser und ich glaube in Bezug auf meine
Studien richtiger urteilen zu können. Werde ich
das so eifrig gesuchte und lange verfolgte Ziel er-
reichen? Ich wünsche es, aber solange es nicht er-
reicht ist, bleibt ein vages Unbehagen bestehen, das
nicht schwinden wird, ehe ich im Hafen gelandet
bin, indem ich nämlich die Malerei zu höherer
Entwickelung bringe als sie früher war und da-
durch beweiskräftige Theorien schaffe, die an sich
ja immer leicht sind.

Nur den Beweis für Das zu liefern, was man
denkt, das macht ernste Schwierigkeiten. Darum
setze ich meine Studien fort.

Aber ich habe Ihren Brief nochmals gelesen
und merke, dass ich nichts beantworte. Sie müssen
mich schon entschuldigen, es kommt, wie ich Ihnen
bereits sagte, nur durch die beständige Beschäftigung
mit dem vorgesteckten Ziel. Ich studiere immer
nach der Natur und mir scheint, dass ich langsame
Fortschritte mache. Ich wollte, Sie wären bei mir,
denn die Einsamkeit bedrückt immer ein wenig,
aber ich bin alt und krank und habe mir geschworen,
lieber malend zu sterben, als an der würdelosen
Hinfälligkeit zu Grunde zu gehen, die Greisen droht,
wenn sie sich von sinneverrohenden Leidenschaften
beherrschen lassen. Wenn ich eines Tages das Ver-
gnügen haben werde, Sie wiederzusehen, können
wir uns mündlich besser verständigen. Sie werden
entschuldigen, dass ich immer wieder auf denselben
Punkt zurückkomme, aber ich gelange zur logischen
Entwickelung Dessen, was wir durch das Studium
der Natur sehen und empfinden und brauche mich
darum nicht mehr mit der Technik zu beschäftigen,
die für uns nur das einfache Mittel ist, dem Be-
schauer sichtbar zu machen, was wir selber empfinden
und seinen Beifall zu erlangen. Die Grossen, diewir
bewundern, haben eben auch nichts anderes gethan.

Mit herzlichem Händedruck denkt Ihrer Ihr
eigensinniger, langlebiger

Paul Cezanne.

Am meisten hatte Cezanne sich über das Nach-
lassen seiner Sehkraft zu beklagen. „Ich sehe die
Flächen sich übereinander schieben," sagte er mir,
„und mitunter scheinen die senkrechten Linien zu
fallen." Diese Fehler, die ich für absichtliche Nach-
lässigkeiten hielt, erklärte er für Schwäche und Un-
vollkommenheiten seiner Sehkraft. Daher also
seine beständigen Versuche ein Mittel zu finden,
um die Werte besser zu sehen.

Wenige nur kannten seine Klugheit, seine Logik,
seine Harmonie, die Empfindsamkeit seines Auges,
sein Suchen nach Flächen und den Wunsch, durch
Anlehnung an die Natur zur Gestaltung zu gelangen;
„etwas Nachahmung und selbst eine kleine Augen-
täuschung ist notwendig," sagte er mir, „es schadet
nichts, wenn es künstlerisch ist."

„Durch die Natur müssen wir wieder klassisch
werden!" war ein Ausspruch, den er immer wieder-
holte. „Selbst Poussin fängt wieder an, ganz nach
der Natur zu arbeiten, das ist das Klassische, wie
ich es verstehe."

...TTTT

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