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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 26.1915

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Elster, Alexander: Deutsche Mode
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https://doi.org/10.11588/diglit.3871#0054

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Abbehusen & Blendermann, Bremen Das Bremer-Oldenburger Haus auf der Deutschen Werkbund-Ausstellung Köln 1914

Bildh. Plastik von Georg Roemer, Bremen-München

ja das gröbere Sinnliche immer weiter zu den feinsinnigsten
Idealisierungen. Auch schützt gerade die Öffentlichkeit
die Mode vor dem Grobstofflichen und bedingt dadurch
dauernd ein Kompromiß zwischen dem Traditioneilen
und dem Wagniszustand, wie er bei den Modeerscheinungen
besteht.

Ein ewiges Spiel auf und ab, her und hin, ein Fliehen
und Suchen wird da gespielt.

Es wäre verkehrt, die Modeschöpfung ganz und gar
der Frau zu überlassen. Gerade weil es sich um weibliche
Kleidung in allererster Linie handelt, ist die Frau dabei
mehr das Objekt als das Subjekt des Handelns — wenigstens,
was .die Idee anlangt. Wenn man die Frau hier zur Mit-
wirkung aufruft, so hat sie die Rolle, die sie im Leben
überhaupt spielt, auch hier zu übernehmen. Sie hat zu
entscheiden, ob sie die vom Manne gezeugten Gedanken
reifen lassen wolle; ob sie sie tragen wolle. Sie ist Spiegel
oder Projektionsfläche der erotischen Gedanken des Mannes,
die sich auf diesem Wege auf sie übertragen. Sie gibt
gewissermaßen die Antwort auf die Anfrage des Mannes.
Ins Praktische übersetzt: nur mit Materialkenntnis und
künstlerischem Sinn können wohl »gute Kleidungsstücke«
gemacht werden; die Modcgedanken aber sind psychischer
Natur. Sie können wohl aus der Richtung des Materials
Anregungen gewinnen, aber aus ihm gezeugt werden diese
Gedanken nicht. Sie sind vielmehr, wenn sie etwas taugen,
stark genug, das Material sich auszusuchen, es sich völlig
Untertan zu machen. Nicht der Fachmann der Branche an
sich oder der bildende Künstler an sich sind schon
Modeerzeuger. Wenn sie es sind, so wurden sie es
dank ihrer besonderen psychischen Neigung zur Linien-

gestaltung in Kleidungsdingen. Daß das eine erotische
Kunst ist, brauchen sie dabei selbst gar nicht einmal
immer zu wissen.

Wenn wir dies alles nun als kunstgewerbliche Kategorie
betrachten, so sind wir nach den neueren Anschauungen
gewohnt, die Aufgabe des Kunstgewerbes auch für die
Kleidung in einer Verbindung des Schönen mit dem Zweck-
mäßigen zu erblicken, und mancher wird nun sofort ein-
zuwenden geneigt sein, daß viele — ja vielleicht die meisten
— neuen Moden weder schön noch zweckmäßig sind.
Dieser Einwand indessen ist falsch. Schön z. B. ist über-
haupt kein absoluter Begriff: was wir beim ersten Auf-
tauchen einer Mode scheußlich fanden, haben wir oft
genug nach Wochen als das einzig Ansehbare und Anzieh-
bare betrachten gelernt. Und zweckmäßig ist etwas im
kunstgewerblichen Sinne nicht schon dann, wenn es dem
materiellen Hauptzweck dient, sondern wenn es psychisch-
ideelle Nebenzwecke in gleicher Weise erfüllt. Zum Bei-
spiel: ein Stuhl ist materiell zweckmäßig, wenn er stehen
und man darauf sitzen und sich anlehnen kann; kunstge-
werblich kommen aber bekanntermaßen noch ganz beson-
dere psychische Anforderungen an die Linienführung und
die Maße hinzu. Oder: eine Pforte ist zweckmäßig, wenn
sie schließt und geöffnet werden kann, kunstgewerblich soll
sie aber noch die Idee geschlossener Öffnung verkörpern,
das heißt aus dem Aussperren zugleich etwas Einladendes
machen. Bei der Kleidung gilt dasselbe: die Linienführung
und die Maße erfüllen den Zweck in künstlerisch-psychischer
Hinsicht nicht schon, wenn sie eine beliebige Hülle des
Körpers sind, die warmhält und bedeckt, sondern, wenn
sie jenen tieferen erotischen Urgrund aller Kleidung immer

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