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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,1.1926-1927

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1926)
DOI Artikel:
Popp, Josef: Moderne Bildnerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.8881#0101

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fassung deö weiblichen Körpers gewonnen, er hat sie vom Grisetkenhasien und den
Zusälligkeiten deö Jltodelles befreit, das bei Klinger noch stark rnitspri'cht; er hat
die Künstler vom ^"di'viduellen zum Typischen hingelenkt. Er hat ihnen die Unter-
lage für ihr Erleben des Statischen und Dynamischen geschaffen. Minne wirkte vor
allem durch seinen Gegensatz zu Maillol als starker Hinweis auf das Sublime. Seine
stille, in sich gekehrte, sast mädchenhast scheue Seelenhaftigkeit, voll Sehnsucht und
Träumerei, ermutigte auch ihrerseits, von Hildebrand äbzurücken, über Rodin und
Maillol dem Geistigen wie neu erlebten Körperlichen sich zuzuwenden, das rein oder
vorwiegend Formale als ungenügend hinter sich zu lassen. Jn Hoetger, als dem
srühesten Künstler der neuen Einstellung, spiegeln sich die einzelnen Bestrebungen sast
typenmäßig ab. Über dem Bestreben, sich nichts entgehen zu lassen, von Rodin über
Maillol zu den Primitiven und Exoten, der indischen und chinesischen, frühgriechischen
und gotischen Plastik, hat er in nichts von alledem sich verweilend versenkt. Deshalb
sind seine Leistungen in der Qualität recht unterschiedli'ch. Aber aus einer starken pla-
stischen Begabung und unleugbaren Jnnerlichkeit glückten formal bedeutsame Werke
wie der AuSdruck des mädchenhast Keuschen, srauenmäßig Reifen, des hymnisch Er-
hobenen bis zum sast Berzückten, wie des in sich Versunkenen. Am peinlichsten wirkt
Hoetger in Torsos, die meistens Derstümmelungen gleichen. Geschmacklos ist es, vor
solche Amputationsstellen stilisierte Blätter zu legen. Für Albiker, auch theoretisch
ein scharser Gegner Hildebrands, ist Plastik „in die Materie eingefangene, d. i.
entmaterialisierte Bewegung". Diese Überwindung des Stosfes steht aber nicht im
Dienste eines Spirituellen, von dem dieser Künstler gar nichts hat; er will damit nur
die körperlichen Funktionen von allem Dienst an die Form freimachen, will sie in
ihrem Rhythmus sich auswirken lassen. Seine Mädchen und Jünglinge sind wie
von innen ausbrechende und sich entsaltende Knospen, in denen die ganze Triebkraft
ausströmt. Sie neigen sich zueinander und verschweben ineinander zu einem wohligen
Gewoge, das bald wie das schmeichelnde Geschiebe kosig plätschernder Wellen, bald
wie vom Wind geschaukelteS Astwerk sich erlebt — besonders in den Reliefs. Dabei
ist er trotz seiner „Entmaterialisierung" in den Körpern füllig, wei'ch, strömig, aber
sie sind zunächst und zumeist nicht um ihrer selbst willen da, sondern als Träger der
Bewegung und ihres Lebens. Kolbe, der mannigfache Wandlungen durchgemacht,
gewann von Rodin den Sinn sür daö Lebendige und die Oberslächengestaltung,
schreitet aber allmählich weiter zur körperlichen Modellierung und zum möglichst
dreidimensi'onalen Eindruck seiner Gebilde, in denen er die Bewegung bis zur allseiti-
gen Rotation treibt. Bei ihm schwingt der Körper in die Bewegung ein und mit,
sie ist damit voller, krästiger, mitreißender als bei Albiker — und trotzdem überwindet
auch er die Schwere.

DaS ist ein Hauptproblcm dieser Künstler und sie haben es wohl gelöst. Kolbe hat
durch die Vi'elseitigkeit seiner Gestalten Hildebrands Reliefansicht vollständig über-
wunden und damit die plastischen Möglichkeiten weitergetrieben. Darin verwandt
Albiker, gleichsam die männliche Weise gegenüber dessen mehr frauenhaster Art. Der
Spiritualist ist Lehmbruck. Nachdem er durch Rodin und Maillol gegangen, an ihnen
sich plötzlich selbst sindend, hat er ebenso schnell in seiner „Knieenden" (ign) ein gänz-
lich neueü Werk geschaffen. Der Geist ist es, der diesen Körper aufbaut, langsam
seierlich sich erheben läßt — in zärtlicher Scheue und Stille, von heili'ger Lautlosig-
keit umgeben. Der „Denker" ist quälerisch, eckig, herb, sast verbohrt; sein Schädel
von Gedanken umsponnen, umgarnt, überwölbt, belastet; das Gesicht hat etwas von
edlem Märtyrertum. Die Hand taucht wie aus Gespensterland auf, hat in ihrer Ener-
gie etwas Bezwingendcs, das wie ein Ausweg, eine Erlösung wirkt. priester-
licher Feierlichkei't steigt ein Jüngling empor wie aus geheimnisvollen Tiefen, mit
übergroßem Kopf. So muß es sich die Natur auch in anderen Gestalten gesallen

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