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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1928)
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Eberlein, Kurt Karl: Unser Goya
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0094

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XllNSI^XK'r XXXXl.

Unser Goya

Von KurkKarl Eberlein

or 100 Iahren man m den Skraßen der StadL Bordeaux cine be-

^^kannte Persönlichkeit, einen kleinen, alken, dicklichen Herrn mit eincr großen
Brillc auf seiner Knollennase, in graucm Frack nnd Zylinder, mühsam aber
energisch trottend, hie und da vor sich hinmurmelnd, ein hübsches, lebhaftes
Mädelchen an der Hand, das ein kindliches Französisch zwitscherte. Zuweilen
ging noch eine lebhaste, spanisch aussehende Dame mit, cin kleiner lusliger
Knabe, der spanisch sprach, oder ein junger spanischer Maler. Der Alte war
der berühmte taube Maler Francisco Jose de Goya y Lucientes, des ver-
haßken spanischen Königs Hofmaler, der seit 1824 „aus Gesundheitsrücksich-
ten" in Bordeaux lebte, dem Kreis der spanischen Emigranten befrenndek,
die sich bei dem Chocolatier Braulio Poc zusammensanden, wo es lebhaft her-
ging, und wo der ehrwürdige Greis meißens zeichnend am Tisch saß und mik
dem Scherzspiel seiner Punktkompositionen die ßreitenden Gemüter beruhigte.
Er wohnte bescheiden in der Rue de la Croix Blanche 10 mit seiner lebens-
lustigen Haushälterin Frau Leocadia Weiß und ihrem Töchterchen Maria del
Rosario, genannk Mariquita, die er täglich als ein, wie er glaubke, kommendes
Genie zu dcm Zeichenlehrer Monsicur Lacour führte, wo die Zeichenschüler vor
den klassizistischen Vorlagen saßen und zuweilen Goyas brummiges „nc> os
680" hören mußten. Auch sein kleiner Enkel Mariano, der späkere Marques
de Espinar, das Kind des einzigen Sohnes, leistete ihm Gesellschast, und die
kleine Familic fühlte sich in Bordeaux wohler als in Madrid. Der alte Mei-
ster mit seincm zähen Lebenswillen und scinem schnell wechselnden Temperament
saß in wildem Schassensdrang mit Doppelbrille und Lupe vor Zeichnnngen
und Gemäldcn, Lithographien und Miniaturen und schien elementar wie die
Natur jedes Lebens- und KunstgeseHes zu spokten. 2lls aber endlich die Nach-
richk eintraf, daß der geliebte Sohn Javier mit den Seinen von Madrid am
Z. März 1828 eintressen werde, ivars die Freude den Künstler aufs Kranken-
lager, aus dem er am 16. April dem Schlaganfall erlag. Fm Grabe des ver-
wandten Malcrs Goicoccha wurde er aus dem Friedhof der Sainte Chartreuse
ehrenvoll bcigeseht, aber 1899 ausgegraben und in San Isidoro zu Madrid
feierlich bestattck, trotzdem man Schädel und Gebein nicht mehr bestimmen
konnte. Ilnd noch einmal, 1919 wurden die Reste ausgegraben und in San
Antonio de la Florida endgültig begraben. 2lm 16. 2lpril waren es also 100
Jahre, daß Goya, der größte Künstler Spaniens, die müden Seheraugen
schloß, und es geziemt uns doch ein Lieferes Gedenken für den, der immer
noch mit uns lebk und zu den großen Gestalten gehört, denen auch wir Lln-
endliches verdanken.

Maihest 1928 (XXXXI, 8)

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