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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1928)
DOI Artikel:
Thormann, Werner E.: Der Intellektuelle in der Politik
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0274

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Der InLellekLuelle in der PoliLik

Von WernerThormann

^-s isl eine Paradoxie. Alle WelL beklagL die Ungeistigkeit des poliüschen
^'Betriebes, hält es sür eine ernste Gesahr, daß die politisch Verantwortlichen
den Ausgaben wirklicher Führung durch das Wirrsal der Zeit so hilflos gegen-
überstehen. Aber fast alle Versuche, Geist und Politik in eine engere Berüh-
rung zn bringen — es hat im letzten Iahrzehnt auch in Deutschland nicht an
Versuchen dieser 2lrt gefehlt —, sind kläglich gescheitert. Wo sich das politi-
sche Jnteresse in den Bereichen des Geistes hervorragender Menschen zur An-
teilnahme am praktischen, politischen Leben umsetzte, wo Dichtern, Philosophen,
Sozialpädagogen, Publizisten politische Führerstellen anvertraut wurden, war
das Ergebnis ein beschämender Dilettantismus. Enttäuschung und Resignation
sind die Spuren ihres Wirkens. Man kann es den „Männern der Praxis",
den Beteranen der Tagespolitik, deren Laktischcs Geschick die Schwierigkeiten
ihrer ideologischen Kritiker spielend aus dem Wege räumt, nicht übelnehmen,
wenn sie mit Verachtung von der politischen Haltung der Intellektuellen reden.
Sie haben ein schweres Stück undankbarer Arbeit zu leisten und sehen ihre
Krast daran, die kleinen Dinge sauber und orbnungsgemäß zu erledigen. Es
muß sie verbittern, daß ihre der Nvt des Tages abgerungene Leistung, die in
nüchterner Sachlichkeit unleugbar Wertvolles schast'k, in der Pstentlichkeit so
wenig Anerkennung sindet. Sie fühlen sich als die „Arbeitsbienen", deren
nutzbringende Existenz als Selbstverständlichkeit hingenommen wird, während
lebenssremde Theoretiker, unsruchtbare Problemsucher und schöngeistige Dilet-
tanten das größte Aussehen erregen. Verletztes Selbstgefühl wächst sich leicht
zum Ressentiment aus. Es gibt in den Kreisen der zünstigen Politiker ein
ausgesprochenes RessentimenL gegcn die Ansprüche des Geistes. Mit Gering-
schätzung der handwerklichen Tüchtigkeit wird es vergolten. So schließt sich der
oirculus vitiosuL, in den die Beziehungen von Geist und Politik zu gegen-
seitigcm Schaden cingeschlossen sind.

Im alten Obrigkeitsstaate kam das den wenigsten zum Bewußtsein. Die herr-
schenden Schichten waren auf ein System der Politik eingeschworen — sie
hielten es sür das System Bismarcks, ohne von der Problematik seines Genies
eine Ahnung zu haben — und glaubten damit das unsehlbare Rezept sür die
Lösung aller Fragen zu besitzen. Für den äußersten Fall stand die Zuflucht
zur ultima rgtio regis, der Appell an die Gewalt jederzeik ossen. Die Oppo-
sition, von aller Möglichkeit zur praktischen politischen Bewährung ausge-
schlossen, dachte nicht weniger boktrinär. Soweit sie der bürgerlichen Demo-
kratie zuneigte, gab es ein Zauberwork, das die Einführung idealer Zustände,
Verwirklichung der liberalen Humanitätsideale verhieß: Llbergang zum parla-
mentarischen System, Erfüllung des Erbes von 1848.

Für die Sozialisten war die Situakion noch einfacher; Karl Marx und die
InLerpreteu seiner Theorie hakken sie der Mühe enthoben, den polikischen
Schwierigkeiken der Bourgeoisie mit einem auf die nächste Zukunft berechneten
Resormprogramm zu begegnen. Die Sozialdemokratie als Regierungs- und
Koalitionspartei im bürgerlich-kapitalistischen Staakensystem war ihnen eine
unvorstellbare Größe. Ihre Prognose lautete auf Umwertung der gesellschaft-

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