Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1928)
DOI Artikel:
Egidy, Emmy von: Selma Lagerlöf und Ricarda Huch, [2]
DOI Artikel:
Vetter, August: Romantische Frömmigkeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0428

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
lst so vollkommen im Ganzen beschlossen, daß sie selber zum Ganzen wird
und aus ihm spricht. Wie Garibaldi dic dahingerasste Heldenschar sühlke,
als sei sie „von ihm weggeströmt wie das Blut von seinem Herzen" — denn
er ist Jtalien —, so ist auch R. Huch hineinverschmolzen in das Ganze
durch ihre glühende Begeisterung sür die Seele des deutschen Volkes. Durch
dieselbe Verwandlung, die sie an ihren Gestalken in der Liebe geschehen läßt,
hat sie sich selbst verwandelt und ist zum Ganzen geworden aus Reich und
Volk. Sie i st Deukschland. Jn diese Befreiung von der Vereinzelung,
in diese Vcrschmelzung zurück in das große Ganze kann sie jeden sührcn,
der ihr folgen will. Wie S. Lagerlös den neuen Menschen aus ihrer eigenen
Einheit schasst, so erhebt sich die Gestalt R. Huchs über ihrem Bolke. Zhr
konnte die besondere und schwerste Llufgabe gelingen, auch den deutschcn
Menschen aus seinem immer erneuten Zwiespalk zu erlösen, das Urerbe anch
in ihm zu besreien. Ihr Bild lockt uns, hinunterzusteigen, tieser als die Be-
grenzung der Einzelperson reicht, und dort aus der Liebe zn unserem Vatcr-
lande die Fähigkeit zu schöpsen, aus der Totalität des Seins heraus zu leben.
Es ist S. Lagerlös schneller gelungen, das allgemeine Verstehen ihres Volkes
und den rauschcnden Beifall ganz Europas ;u erlangen. R. Huchs Stunde
wird noch kommen. Unmöglich wird das deutsche Volk an dieser seiner Dich-
terin vorbeileben können.

Romantische Frömmigkeit

Von August Vetter

I.

audelaire und Kierkegaard! Schmerzlicher Zwieklang der schwindenden

^^Romantik — jener Romantik, die „ein Versuch der Poesie war, das
Absolute auszudrücken". Zu den versührerischen Göttern jener Zeit zählt der
Dandy und Ästhet, dem der Franzose seine Gesänge, dem der Däne hinrci-
ßende Lobreden weihke. Jn gewissem Sinn waren sie beide, freilich auf sehr
verschiedene Weise, Propheten des Bösen, die sich dem schöngeistigen Götzen-
bild selbst opfertcn. Kein zufälliges Dichkerschicksal waltet über ihnen: sie las-
sen die Tragik der neueren Kunst selbst ahnen.

Zn der Morgenröte der Romantik hatte Friedrich Schlegel verkündigt: „Was
die Menschen unter den andern Bildungen der Erde, das sind die Künstler
nnter den Mcnschen." „Künstler ist jeder, dem es Ziel und Mitke dcs
Daseins ist, seinen Sinn zu bilden." Diese Berusung des Genies zur Prie-
sterschafk verhieß der Kunst einen unverhossten Llusschwung. Sie streifke
die Bindungen ab, die das srühere Schasfen mehr oder minder eng mit der
handwerklichen Tätigkeit wie mit den kirchlichen Bcdürfnissen verknüpsten.
Gelockert waren sie längst, aber erst die Romantik gab dem Künstler die un-
beschränkte Wahlfreiheit der Einbildungskraft.

War nun aber der Mensch selbst das oberste Kunstwerk, das von allen her-
vorgcbracht werden sollte, so besaß der Künstler keine Sonderaufgabe mehr.
Er verlor damit im Grunde seinen Beruf nnd dic Berechtigung zu eincm
Sondcrdasein. Sich bürgerlichen Aufgaben zuzuwenden und darin die allge-
mein menschliche Bildnng kätig zu verwirklichen (wie es etwa Goethes Wil-

359
 
Annotationen