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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1928)
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Enckendorff, Marie Luise: Aphorismen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0256

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2lphorismen

Von MarieLurse Enckendorff

/^-s ift ganz unausdenkbar, unvorftellbar, wie der Menfch in einer Welt ge-
^-^deihen sollke, die er begreifk; in der zum Beispiel „Lohn und Skrafe" erftens
da wäre, zweikens erfolgke, wie er sich das ausdenkk.

Die Welk erkennen! Schauerliches Unkerfangen! Dieses dünne Schichklein
von Bewußthcik, von Denken-können, Bedenken-können, das über einer ab-
gründigen Finfternis schwimmk — mik diesem die Finfternis, den Abgrund
Welk ausloken zu wollen: ein verftandloses Unkerfangen. Welche Barbarei,
welche Schulkind-Unternehmung, die gar nichk weiß, was sie unkernimmt. Er-
kennen, runden, zusammenbringen, Schuld- und Erlösungsmykhen finden —
bis den Menfchen vielleichk aufgehen wird, daß die Ewigkeiken anderes von
ihnen fordern, als Runden und Zusammenbringen. Eine fchauerliche Welk Luk
sich auf, ein fürchkerlichftes Vorhang-zerreißen statk jenem Vorhang-spinnen,
die Bodenlosigkeik des Daseins kuk sich auf, in der der Menfch sich selber halken
muß, wenn er nicht in einer fchwarzen Bodenlosigkeit verkommen will, die ihn
zerfchellt.

Die Periode des Welk-begreifen-wollens wird verfchollen sein wie die Periode
der 2lftrologie und des Goldmachens.

Das Leideu als selbftverftändlich zum Leben gehörig nehmen wie Wafser und
Lufk, es hart nehmen wie der Schwimmer im Bcrgsee das eisige Wasser:
und wie befreik, wie ftark, ja wie froh ftehen wir da!

Es ift eine unguke Lehre der Religionen, daß Leiden Skrafe sei und nichk selbft-
verftändliches Lebcn.

Manchmal meint man faft, als ob ein beftimmtes Maß von Qual jedes Men-
fchen Eigen sei, das cr an seinen Schicksalen ausftehen muß, welcher Art und
welchen — wenn man so will — objektiven Maßes diese auch seien.

Das Alker ift die eigenkliche Zeik der Zugänglichkeik und des kiefen Hinhörens
— bereiken, sicheren Wesens ergreifk man. Immer wieder tuk sich jeHk cine neue
Tür auf in die Unermeßlichkeiten. Man muß das Skrönien des Lebcns hin-

Juliheft 1928 (XXXXI, 10)

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