zugewandten Haltung begriffen werden kann. Der zwcite ist der, daß nur dort
Wissen und Gewißheiten, Fähigkeiten und Gaben bewahrt srnd, die wir besitzen
sollten. Jawohl, nach Christi Lehre, die nicht darauf zielt, aus unö für den Him-
mel Reife zu machen, sondern die exprsssis verbis verspricht, uns zu Weisen und
Könnern zu machen („Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch: wer an mich glaubt, der
wird die Werke auch tun, die ich tue, und wird größere denn diese tun...")- I-Ind
schließlich, weil nur dort nach einer Liebezu allen Wesen gelebt wird, die als
das schönste Wunder dieses entarteten Globus anzusehen ist und die wir bewundern,
weil sie in der Tat alle Taten des Gcistes und alle „stolzen" Errungenschaften unserer
Zeit himmelhoch überragt. Aus diesen Gründen -— und nicht aus irgendwelchen pro-
fitlerifchen llberlegungen — flieht unsere Seele zuweilen nach Asien, dessen Wege
im übrigen nicht unsere Wege sein können.
Umschau
Elisabeth Siewert
tarke Charaktere stehen zu ihrem
Schicksal in Beziehungen zugleich der
Verwandtschaft und des Gegensatzes, die
uns wie ein höheres Geheimnis berühren
und beglücken. Aus Mangel und Not
gewinnen solche Menschen ihre Kräfte,
und Gift verwandeln sie in Speise; so
erfcheinen sie zugleich wie die heimliche
Frucht und Absicht von Zuständen, die
für andere unergiebig, wenn nicht ge-
fährlich sind. Die Dichterin, die der Kunst-
wart heute nicht zum erstenmal zu Worte
kommen läßt, ist ein anziehendes Beispiel
solch tröstlicher Zusammenhänge.
Die Nachkommin der Schlegels und an-
deren mitteldeutschen Geburts- und Gei-
stesadels wächst als westpreußisches Land-
fräulein auf. Ödes Wald-, Heide- und
Moorland, karger Boden, daS kälteste
Klima Deutschlands, einc dürftige und
stumpfe Kätnerbevölkerung meist slawi-
fcher Art unterhalb der dünnen Klasse
öeutscher Gutsbesitzer, Beamter, Klein-
städter; beidc Schichten unter der Un-
gunst dcs Landes leidend und um so
bereiter, leichtlebig und draufgängerisch
in dcrbem Gcnuß die wenigen Sonnen-
stundcn des Glücks auszukosten. Dies
abseits liegende kultur- und geschichtslose
Kolonistenland, das erst Friedrich der
Große dem Mutterlande zurückbrachte,
hat nur wenig geistigen Zusammenhang
mit der Gesamtnation: Westpreußen ist
weit „östlicher" als Ostpreußen; man
muß alles auö sich selber nehmen; eine
breite Gastlichkeit, eine naive Gesellig-
keit mit improvisierten Deranstaltungen
aller Art muß diesen einsamen Höfen
und Städtchen über Leere und Lange-
weile hinweghelfen.
Jn diese derbe, nüchterne Welt fand
sich Elisabeth Siewert hineingestellt, mit
einem angeborenen Verlangen nach
Schönheit und Vollkommenheit außen
und innen, dem nichts in ihrer Um-
gebung entsprach; Verzweiflung, stumpfe
oder zynische Ergebung, wenn nicht ein
Traumleben in Büchern und Musik,
schien sich ihr als einziger Ausweg an-
zubieten. Statt dessen beginnt das
Wunder der Ergänzung aus dem Geist
und dem Herzen, der Kampf einer lei-
denschaftlichen Seele um das „ewige
Brot". An dem Bewußtsein des Ärm-
lichen, Häßlichen, ja Gefährlichen der
äußeren und inneren Zustände entzündet
sich ein kämpferischer Trotz echt ost-
deutscher Prägung; heißer Zorn übcr
eigene und fremde Verwahrlosung er-
wacht, und immer klarer ringt ein ur-
sprüngliches sittliches Gefühl um Rcinheit
und Dollkommenheit. Jhr eignet dabei
„dieser letzte Ernst, der sich verbeißt und
einwühlt untcr tausend Schmerzen, in
das Geheimnis, um für sich die Lebens-
möglichkeit durch eine Erkenntnis zu be-
kommen". („Hirte Mathias".) Dabei
ein immer wacher, ironifch-kritischcr
Blick, der für seinc persönliche Not nur
eine persönliche Rettung weiß: „Die
dummdreiste, treuherzige, kindlich be-
gueme Art, etwas in bezug auf ein
höheres Leben im Geist anzunehmcn,
ohne Erfahrung und Betätigung im
Jnnern, ist nie meine gewesen. Mir
kann kein Prediger, kein Klassiker, kein
Lehrer nützen, aber der offene Himmel
in Kinderzeiten kann mir nützen" („Das
^oi
Wissen und Gewißheiten, Fähigkeiten und Gaben bewahrt srnd, die wir besitzen
sollten. Jawohl, nach Christi Lehre, die nicht darauf zielt, aus unö für den Him-
mel Reife zu machen, sondern die exprsssis verbis verspricht, uns zu Weisen und
Könnern zu machen („Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch: wer an mich glaubt, der
wird die Werke auch tun, die ich tue, und wird größere denn diese tun...")- I-Ind
schließlich, weil nur dort nach einer Liebezu allen Wesen gelebt wird, die als
das schönste Wunder dieses entarteten Globus anzusehen ist und die wir bewundern,
weil sie in der Tat alle Taten des Gcistes und alle „stolzen" Errungenschaften unserer
Zeit himmelhoch überragt. Aus diesen Gründen -— und nicht aus irgendwelchen pro-
fitlerifchen llberlegungen — flieht unsere Seele zuweilen nach Asien, dessen Wege
im übrigen nicht unsere Wege sein können.
Umschau
Elisabeth Siewert
tarke Charaktere stehen zu ihrem
Schicksal in Beziehungen zugleich der
Verwandtschaft und des Gegensatzes, die
uns wie ein höheres Geheimnis berühren
und beglücken. Aus Mangel und Not
gewinnen solche Menschen ihre Kräfte,
und Gift verwandeln sie in Speise; so
erfcheinen sie zugleich wie die heimliche
Frucht und Absicht von Zuständen, die
für andere unergiebig, wenn nicht ge-
fährlich sind. Die Dichterin, die der Kunst-
wart heute nicht zum erstenmal zu Worte
kommen läßt, ist ein anziehendes Beispiel
solch tröstlicher Zusammenhänge.
Die Nachkommin der Schlegels und an-
deren mitteldeutschen Geburts- und Gei-
stesadels wächst als westpreußisches Land-
fräulein auf. Ödes Wald-, Heide- und
Moorland, karger Boden, daS kälteste
Klima Deutschlands, einc dürftige und
stumpfe Kätnerbevölkerung meist slawi-
fcher Art unterhalb der dünnen Klasse
öeutscher Gutsbesitzer, Beamter, Klein-
städter; beidc Schichten unter der Un-
gunst dcs Landes leidend und um so
bereiter, leichtlebig und draufgängerisch
in dcrbem Gcnuß die wenigen Sonnen-
stundcn des Glücks auszukosten. Dies
abseits liegende kultur- und geschichtslose
Kolonistenland, das erst Friedrich der
Große dem Mutterlande zurückbrachte,
hat nur wenig geistigen Zusammenhang
mit der Gesamtnation: Westpreußen ist
weit „östlicher" als Ostpreußen; man
muß alles auö sich selber nehmen; eine
breite Gastlichkeit, eine naive Gesellig-
keit mit improvisierten Deranstaltungen
aller Art muß diesen einsamen Höfen
und Städtchen über Leere und Lange-
weile hinweghelfen.
Jn diese derbe, nüchterne Welt fand
sich Elisabeth Siewert hineingestellt, mit
einem angeborenen Verlangen nach
Schönheit und Vollkommenheit außen
und innen, dem nichts in ihrer Um-
gebung entsprach; Verzweiflung, stumpfe
oder zynische Ergebung, wenn nicht ein
Traumleben in Büchern und Musik,
schien sich ihr als einziger Ausweg an-
zubieten. Statt dessen beginnt das
Wunder der Ergänzung aus dem Geist
und dem Herzen, der Kampf einer lei-
denschaftlichen Seele um das „ewige
Brot". An dem Bewußtsein des Ärm-
lichen, Häßlichen, ja Gefährlichen der
äußeren und inneren Zustände entzündet
sich ein kämpferischer Trotz echt ost-
deutscher Prägung; heißer Zorn übcr
eigene und fremde Verwahrlosung er-
wacht, und immer klarer ringt ein ur-
sprüngliches sittliches Gefühl um Rcinheit
und Dollkommenheit. Jhr eignet dabei
„dieser letzte Ernst, der sich verbeißt und
einwühlt untcr tausend Schmerzen, in
das Geheimnis, um für sich die Lebens-
möglichkeit durch eine Erkenntnis zu be-
kommen". („Hirte Mathias".) Dabei
ein immer wacher, ironifch-kritischcr
Blick, der für seinc persönliche Not nur
eine persönliche Rettung weiß: „Die
dummdreiste, treuherzige, kindlich be-
gueme Art, etwas in bezug auf ein
höheres Leben im Geist anzunehmcn,
ohne Erfahrung und Betätigung im
Jnnern, ist nie meine gewesen. Mir
kann kein Prediger, kein Klassiker, kein
Lehrer nützen, aber der offene Himmel
in Kinderzeiten kann mir nützen" („Das
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