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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

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Heft 11 (Augustheft 1928)
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Tribüne
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0393

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Gesördert durch das Übergervicht des Kapitals über den Geist und die steigende
Bevormundung der produktiven Jndustrie durch das unproduktive Bankgeld; dadurch
fcrner, daß dle Kunst verdrängt wird von der Technik (Plscator), daß nur noch dem
fix fchrelbenden Artisten und dem Schauspieler Wirkungsmöglichkei't gegeben lst, ni'cht
aber dem echken Dichter, und daß der Pri'ester verdrängt tvird von dem Journali'sten,
der Seelenfuhrer von dem Demagogen.

Das Talent, Ni'chti'gkelten zu Sensationen aufzupeitfchen, trat an Stelle der Tie-
fenfchau.

Der Marktfchreier steht in guter Mast, di'e drosselnde Faust der seelifchen Not, des
Berkanntsei'ns und des zur Einflußlosigkeit-Derdammtseins, und die drosselnde Faust
des körperllchen Hungers bedrohen den echten Künstler, den ernsthaften Denker, den
Handtverker und alle, die nicht massenhaft, sondern Wertvolles, di'e nicht um einer
Konjunktur, sondern um einer Jdee willen, — die im deutfchen Sinn fchaffen tvollen.

Umschau

Carl Blecheu

arf man das Genie fleißi'g nennen?
Der bürgerliche Pedant müßte sich be-
kreuzen, wenn er Zeuge solcher Betäti-
gung wird. Denn eine ruhige, philister-
lich-lobenswerte Eigenfchaft, eine nützliche
Tugend ist von einem Dämon in Beses-
senheit umgewandelt und wird zu Zwek-
ken mißbraucht, die sinnlos, zu Zielen lei-
tend, die unsichtbar sind. Weder die Un-
ermüdlichkeit der Arbeit, noch die Müh-
seligkeit des Weges rührt den Kern, noch
die lächerliche Dorstellung, das Genie
fchüttle seine Schöpfungen aus dem Är-
mel, weil sie spielerifch leicht und einfach
dastehen. Wohl gibt es Genies, die ihr
ganzes Leben lang — manchmal in jün-
geren Jahren — ein einziges Werk her-
vorbringen und dann fchweigen, wie er-
fchreckt über den Geist, der aus ihnen ge-
sprochen hat. Wo ist da Fleiß? Fiebernde
Glut, ihr ganzes Jnnere zum Sammel-
platz, zum geordneten Sammelplatz zu
machen, damit auch alles in richtiger
Reihe aufmarfchiert. Will man diese un-
geheure Spannung Fleiß nenncn, —- es
bleibt Begriffsklauberei. Rätselhafter noch
sind aber jene lebenslang Getriebenen, die
bald durch Dielseikigkeit, bald durch boh-
rende Einseitigkeit uns beunruhigen, so-
lange sie leben. Der idealistifche Phili-
ster beneidet das Genie, weil es in leich-
teren Sphären lebte, sehr zu Unrecht;
es ist zu seinem, dcs Philisters, Vorteil
nämlich an den Alltag gekettet und meist
nicht nur im Materiellen, sondern vor
allem in seines höheren Menfchen Be-
tätignng jeden Augenblick wieder mit

der primitiven Sinnlichkeit von uns al-
len verknüpft: dieseS blitzartige Hin-und-
Her läßt jene Werke entstehen, die uns
den Zusammenhang mit einem höheren
Dasein zu kosten geben.

Die Begnadeten haben fchwer zu tragen.
Wie sie dem Leben sonst gegenüberstehen:
naiv oder fremd oder frech fordernd, man
borgt ihnen nicht auf ihre fchwer erkenn-
baren Vorzüge, und doch müssen sie ihre
kostbarste und empfindlichste Eigenfchaft,
die, von der sie allein etwaS Bestimm-
tes und UnerfchütterlicheS wissen, mit
allen Mitteln fchützen. Jhr opfern sie
alles; selbst die Liebe ihrer teuersten An-
gehörigen wie Hölderlin. Aufkeimen las-
sen, was ihres Wesens Kern ist, darum
ihr — Fleiß!

Unter den vielfältigen Typen fcheint sich
eine erlauchte Familie von Genies kennt-
lich zu machen: die zu einem kurzen Erden-
leben bestimmten. Unfaßbar ist uns, die
wir bequemen Überblick haben, wie in so
wenig Jahren solch eine Fülle von Wer-
ken entstehen konnte, ja wie eine ganze,
sich klar in Perioden fcheidende Entwick-
lung gleichsam im Fluge vollendet wurde.
Jn diese Familie gehört Carl Blechen.
Mit vierundzwanzig Jahren ist er noch
Bcmkangestellter. Dreizehn Jahre später
machen sich fchon die Anfänge der Uni-
nachtung bemerkbar, die ihn dann, bald
undurchdringlich, bis zum Tode umfangen
sollte. Ein halbes Menfchenalter, voll
von Not, Sorgen und verständnisloser
Kritik, genügte ihm, al! dicse großen und
kleinen Dinge zu fchaffen, zu denen sich
nach Kerns erstmaliger, schon unfaßbar
reicher Aufzählung nun Jahr für Jahr

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