DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1928)
DOI Artikel:Nötzel, Karl: Tolstoi: zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages am 9. September 1928
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0414
XXXXI. ILmroLivo
Tolstoi
Zur hunderrsteu Wiederkehr seines Geburtstages am g. September 1928
Von Karl lNöHel
enn wir einer so russisiHen Erscheinung wie Tolstoi gerechk werden wol-
^-^^len, müssen wir Lief in die Geschichke Rnßlands zurückgehen. Tolstoi
ist ja nur zu verstehen als russischer Inkelligenk. Die russische Inkelligenz aber
— das ist viel zu wenig bekannk und gibk dabei den einzigen Schlüssel zum
Verßändnis der heukigen russischen Verhältnisse — enkstand als zwischen-
ständige Schichk (Söhne von kleinen Beamken, Popen, Händlern und Bauern)
an den Schulen Pekers des Großen, die, ursprünglich nur für den 2ldel be-
stimmk und als reine Fachschulen gemeink, von dem 2ldel nichk genügend be-
suchk wurden und zudem durchaus unbeabsichkigk — bei dem inneren Zusam-
menhang allen Wissens — auch das geistige Europa übermiktelten (vor allem
das aus den Iuristenschulen gelehrke Prakurrecht). Schon nach ihrem Ilrsprung
aus dem in allen seinen Schichken außer dem 2ldel geknechkeken russischen
Volke war diese zwischenständige Schichk zur Gesellschastskrikik vorans-
bestimmk. Sie war aber auch geschichtlich dazu berusen, da alle anderen
Skändc des damaligen zarischen Rußlands — das liegk an seiner strakegisch
ungeschüHken Lage als äußerster europäischer Vorposten nach 2lsien zu und -ist
auch die unmikkelbare Folge des Takarenjochs — bis in ihre elemenkarsten
Bedürfnisse hinein an den Skaak gebunden und somik an jeder gesellschafklichen
Krikik gehinderk waren. Der sie nunmehr übernehmende zwischenständige Stand
der russischen Inkelligenz fand aber auch gleich schon eine nakürliche 2lngrisfs-
sronk in der Leibeigenschaft. Sie war gerade zu derselben Zeik und durch den-
selben Peker, der sich zur Durchführung seiner Reformen die Beihilfe des
2ldels sichcrn und ihn deshalb endgülkig vom einfachen Volke krennen wollke,
aus einer Hörigkeit in eine richtige Sklaverei umgewandelk worden. Ihre Be-
kämpsung, und das heißk die polikische und die soziale Besreiung, ward so
gleich von 2lnsang an das Programm der von Hause aus revolukionären rus-
sischen Inkelligenz. Das unkerscheidek den „rein polikischen", westeuropäischen
Freiheitskamps vom russischen. Er ward seik Peker ausschließlich von der rus-
sischen Inkelligenz geführk, die dann in unseren Tagen, nach fast zweihunderk-
jährigem Ringen in ihrer folgerichkigsten Schichk, den Bolschewisten, deu end-
gülkigen Sieg über das zarische Rußland davonkrug. Zu der russischen Inkelli-
genz zählke sich seik Peter bis auf unsere Tage (wo freilich im osfiziellen Ruß-
land dieser Begvisf verwischk werden soll) jeder Russe, der eine über die
Bolksschule hinausgehende Bildung erlangk hakke — aho vor allem die Se-
nünaristen und Studenken. Die russische Inkelligenz ist streng genommen
aber immer nur ein vorübergehender Zustand des studierken russischen Men-
Septemberheft 1928 (XXXXI, 12I
345
Tolstoi
Zur hunderrsteu Wiederkehr seines Geburtstages am g. September 1928
Von Karl lNöHel
enn wir einer so russisiHen Erscheinung wie Tolstoi gerechk werden wol-
^-^^len, müssen wir Lief in die Geschichke Rnßlands zurückgehen. Tolstoi
ist ja nur zu verstehen als russischer Inkelligenk. Die russische Inkelligenz aber
— das ist viel zu wenig bekannk und gibk dabei den einzigen Schlüssel zum
Verßändnis der heukigen russischen Verhältnisse — enkstand als zwischen-
ständige Schichk (Söhne von kleinen Beamken, Popen, Händlern und Bauern)
an den Schulen Pekers des Großen, die, ursprünglich nur für den 2ldel be-
stimmk und als reine Fachschulen gemeink, von dem 2ldel nichk genügend be-
suchk wurden und zudem durchaus unbeabsichkigk — bei dem inneren Zusam-
menhang allen Wissens — auch das geistige Europa übermiktelten (vor allem
das aus den Iuristenschulen gelehrke Prakurrecht). Schon nach ihrem Ilrsprung
aus dem in allen seinen Schichken außer dem 2ldel geknechkeken russischen
Volke war diese zwischenständige Schichk zur Gesellschastskrikik vorans-
bestimmk. Sie war aber auch geschichtlich dazu berusen, da alle anderen
Skändc des damaligen zarischen Rußlands — das liegk an seiner strakegisch
ungeschüHken Lage als äußerster europäischer Vorposten nach 2lsien zu und -ist
auch die unmikkelbare Folge des Takarenjochs — bis in ihre elemenkarsten
Bedürfnisse hinein an den Skaak gebunden und somik an jeder gesellschafklichen
Krikik gehinderk waren. Der sie nunmehr übernehmende zwischenständige Stand
der russischen Inkelligenz fand aber auch gleich schon eine nakürliche 2lngrisfs-
sronk in der Leibeigenschaft. Sie war gerade zu derselben Zeik und durch den-
selben Peker, der sich zur Durchführung seiner Reformen die Beihilfe des
2ldels sichcrn und ihn deshalb endgülkig vom einfachen Volke krennen wollke,
aus einer Hörigkeit in eine richtige Sklaverei umgewandelk worden. Ihre Be-
kämpsung, und das heißk die polikische und die soziale Besreiung, ward so
gleich von 2lnsang an das Programm der von Hause aus revolukionären rus-
sischen Inkelligenz. Das unkerscheidek den „rein polikischen", westeuropäischen
Freiheitskamps vom russischen. Er ward seik Peker ausschließlich von der rus-
sischen Inkelligenz geführk, die dann in unseren Tagen, nach fast zweihunderk-
jährigem Ringen in ihrer folgerichkigsten Schichk, den Bolschewisten, deu end-
gülkigen Sieg über das zarische Rußland davonkrug. Zu der russischen Inkelli-
genz zählke sich seik Peter bis auf unsere Tage (wo freilich im osfiziellen Ruß-
land dieser Begvisf verwischk werden soll) jeder Russe, der eine über die
Bolksschule hinausgehende Bildung erlangk hakke — aho vor allem die Se-
nünaristen und Studenken. Die russische Inkelligenz ist streng genommen
aber immer nur ein vorübergehender Zustand des studierken russischen Men-
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