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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

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Heft 12 (Septemberheft 1928)
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Zu unseren Bildern und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0482

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der Gestalkungskrafl des Kindes aus- ander zlvischen Leben und Kunst herbei-
gehen, dazu beitragen, mit der Zeit zusühren.

einen Wande! ln dsm heutigen AuSein- Hans von Faber duFaur

Zu unseren Bilderu und I^oLeu

i^.dvard Munch*. Wir haben ge-
^legentlich der Mannheimer Munch-
Ausstellung, der eine noch umfangreichere
ln der Berllner Nationalgalerie folgte,
einen Artikel über dle Malkunst dieses
nordlschen Melfters gebracht und ihm
einige Bilder beigegeben. Diesmal geht
es um den Schwarz-Weiß-Kunstler.
Erst dessen Kenntnis ergibt die ganze
Fülle dieser europäischen Persönlichkeit.
So stark Munchs Malerei auf die Deut-
schen toirkte, so tvenig roird man das
von seiner Graphik sagen können. Und
daS ist nicht verivunderlich; denn hierin
offenbart sich seine eigenste Handschrift.
Sie ist verschieden im Holzschnitt, in
der Lithographie und Radierung, immer
aber durchaus individuell.

Die kalte Nadel liebt Munch mehr als
die Radierung. Man zeichnet mit ihr
auf die Kupferplatte in leichten, fchar-
fen Linien, die nur verhältnismäßig toe-
nige Abdrücke ermöglichen, tvährend die
geätzte, d. h. die radierte Linie fich tiefer
in das Metall einfrißt und damit kräf-
tigere Striche und geschlossenere Flä-
chen, eine stärkere Hell-Dunkel-Möglich-
keit ergibt. Man spürt selbst in der
Autotypie des „jungen Mädchens" den
seidigen Glanz der schmiegsamen Kupfer-
platte und ihre weiche Fülligkeit. Wie
versteht hier Munch mit dünnsten Un:-
rissen die Wange auS dem Hintergrund
herauszurunden und das Gesicht mit
Hilfe von Backe, Hals und Haar gegen
die Umgebung abzuheben, das Haar
leuchten, den Äörper sprechen zu lassen!
Wie sind die Augenlider, der Blick zise-
liert, wie ist die Nüster des knappen Näs-
chens gcspannt, des MundeS wellige Deh-
nung schön geschwungen! Wie wölbt sich
die Wange über das Knochengerüst, fiht
derKvpf auf dem reckigenHals! Jn allem
eine spielerifch gleitende Linie, Gefchmei-
digkeit und Präzision zugleich.

Wie anders der lockere, schwebige Schat-
ten in der „Melancholie" (Lithographie),
die müde Hängigkeit in der Frauenge-

' Die Dorlagen füc uniere Bilder wurden uns
vom Graphischen Kabinett in München zur
Lcrfügung gestellc.

stalt! Welch satte Tiefen, welchs Wärme
in den wechselnden Abfchattierungen des
„Dank an die Gesellfchaft"! Wie treff-
lich paßt das Speckige des Steines und
das Mehlige deS Striches zu der un-
lebendigen Art der „Frau mit den grü-
nen Augen"! Am stärksten spricht der
Schwarz-Weiß-Künstler in den Holz-
schnitten, in denen Munch ganz neus
Wege gegangen. Denkt man etwa an
Valloton, der als einer der ersten die
Gegenüberstellung von geschlossenen wei-
ßen und schwarzen Flächen brachte, so
erkennt man nicht nur den vollständigen
Gegensatz zweier ganz verschiedener Künst-
lerindividualitäten, auch die ungleich stär-
kere und vielseitigere 2lrt Munchs. Dort
eine dekorativ gelassene Breite, die mit
ruhigen Flächen arbeitet, hier eine auf-
gewühlte, aufgeregte Sensibilität von
wechselreicher Dynamik im Helldunkel.
Und zugleich eine über das Flächige weit
hinausreichende Raumformung der fcharf
voneinander sich scheidenden Pläne. Wel-
fach spürt man die Struktur des Hol-
zes durch, wie das schneidende, grabende
Messer, das die Lichter auS dem dunk-
len Grund herausholt, den Lim'en Zü-
gigkeik und Straffheit gibt, den Schatten
mannigfache Schwere, je nachdem, was
der Jnhalt erfordert. Aus jedem Mate-
rial seiner Technik gewinnt Munch be-
sondere Hilfen für die Charakteristik, bis
in die jeweilige Stimmung: man beachte
das Jugendlich-Geschmeidige im Kält-
nadelblatt des Mädchens, das Wohlig-
Behagliche, selbst Humorige der Gesell-
schaft, das Auflöserifche der Melancholie,
das Knappe und Scharfe in den einsa-
men Menschen, den Mädchen an der
Brücke, den Alten und Jungen.

Die Blätter zeigen aber auch Munchs
geistige Vielseitigkeit: seine außerordent-
liche Beobachtungs- und Konzentrations-
fähi'gkeit im BildniS, Vorliebe und Ge-
staltungskraft für Zustände des Unter-
und Unbewußten, eine fast traumwand-
lerische Sicherheit, die Seelenart des mo-
dernen Menschen zu fassen, sie in Sehn-
sucht und Qual, Verzücktheit und Angsr
sichtbar zu machen — mit Vorliebe in

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