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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

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Heft 12 (Septemberheft 1928)
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der Beziehung von Mann und Frau.
Jn allem viel Unerbittlichkeit und eigene
Unerlöstheit, aber auch rnitfühlende Güte
und befreiender Humor. Auch das Tier
meiftert er in dessen äußcrev Erfcheinung
wie in seinem inneren Gehaben. Dic
Graphiker von Gottes Gnaden si'nd ja
alle geistig reiche und vielfach interessierte
Künstler, die das leichtere Mittel der
Zeichnung toie eine Schrift gebrauchen,
um das unmittelbar niederzuschreiben,
was Sinne, Herz und Geist bewegt. So
ist es nicht selten, daß auch Maler ge-
rade als Schwarz-Weiß-Künstler ihr
Tiefstes geben; man denke nur an Dürer
oder Rembrandt. Dem modernenMen-
schcn ist die Graphik in solchem Sinne
besonderes Bedürfnis und deshalb nicht
zufällig, daß die besten Leistungen des
Expressionismus, zu dessen Bätern
Munch gehört, vor allem in der Graphik
liegen. Eine letzte Eigentümlichkeit dieser
Kunst und ihrer innigen Verflochtenheit
mit dem Darsteller besteht endlich darin,
daß cr dem Unaussprechlichen bei aller
Anschaulichkeit sein Wesen beläßt und
uns dadurch mehr ahnen macht als klar
schauen läßt. So kann man gerade beste
Werke solcher Art mit Worten nur an-
deuten, nie ausdeuten: in ihrer intellek-
tuellen Unfaßbarkeit liegt ihre besondere
Tiefe und Anregungskraft.

Kopf eines jungen M ädchens.
189Z. Kalte Nadel. Ein munto-
res, frifches Wesen, funkeligen und straf-
fen Geistes zugleich, gescheit und selbst-
sicher, aber nicht selbstsüchtig, vielmehr
hilfsbcreit und liebenswürdig. Aus sei-
ner Gefcheitheit und Beweglichkeit gern
cinmal vorschncll, auö seiner Umsicht und
llberlegenheit zwifchenhinein fchnippisch,
cin gesundes, sympathisches Mädel, das
bei aller Hellsichtigkeit und Scharfhörig-
keit, Bestimmtheit und Kraft noch ganzKind
ist. Man beachte außcr dem Gesicht auch
die Haltung von Hals und Körper: daS
ganze Wesen gesammelt und abgefangen
in einem Augenblick dcr Spanmmg.
Oank an dieGesellschaft. 16gg.
Lithographie. Offenbar satirisch
gemeint. Welch ein Gegensatz im Mann
dcr Ordnung und diescr Gesellfchaft, die
den ganzen Bürgersteig beansprucht. Jn
jenem innere Gleichgültigkeit und ge-
mimte Energie, die in ihrer Berstciftheit
und dem fast feindlichen Ellenbogen ko-
misch wirkt gegenüber den üppig wogen-
den Formen, die in der „Gesellschaft"

wohlig gegeneinander fchwellen. Dahinter
der fast grinsend sich ausbauchende Schat-
ten — ein Sinnbild der sich gegenseitig
komplimentierenden Abschiedsergebenheit;
in ihm schwingt das Groteske diesesAus-
einandergehenö mit behaglichem Humor
aus, vielleicht auch etwas den straffen
Schatten des strammen Wachmannes
verulkend. Die Liebenswürdigkeiten — bei
manchem bis zum Grinsen sich auswach-
send — einer Klatsch- und Tratschgesell-
schaft, die bcim Auseinandergehen noch
einmal an sich selbst vffenbar wird,
aber letzten Endes harmlos ist; nur der
gestrenge Wächter der unerbittlichen
Sitte stürzt sich in die Kosten einer
Entrüstung, die ihn lächerlich macht.

M e l a n ch 0 l i e. igog. Lithogra-
p h i e. Ein Schatten steigt auf wie
ein bedrohliches Phantom, das aber
zugleich müde und welk in sich selbst
zusammensinkt; im Grunde nur das
Schemen der Person, deren Wandel sie
hemmt. Das Lähmende aller Schwer-
mut, ihre lastende Passivität, das dumpfe
Sich-preisgegeben-fühlen und Sich-über-
lassen, ein stumpfes Ergründen-wollen
und doch Sich-ergcben, weil die Kraft
nicht mehr reicht, wie bei einem Men-
schen, der den Galgenstrick schon um
den Hals spürt. Alles ist hängig in die-
ser Unglücklichen. Die Hände halten ihr
Wcniges, ihr Nichts zurück. Sie ist ihre
eigene Gefangene und wirkt darin zuletzt
befchränkt, armselig, wie ein hoffnungs-
los verurteiltes Opfer. Unheimlich die
Einheit von Schatten und Wirklichkeit,
die sich zueinander neigen, aufeinander
beziehen, einander unentrinnbar werden.
Wie viel anders Dürers Melancholie!
Munch weiß viel mehr von den letzten
Gefahren der Schwcrmut, bei Dürer nur
ein Zustand vorübergehender Lähmung,
hier dic Krankheit zum Tode.

Dic Frau mit den grünen Augcn.
Lithographie. Eine untiefe Natur, ein
lässig apathisches Wesen, träge in sich
verträumt, nur in der Oberlippe etwaö
Empfindliches, leicht JndigniertcS, im
Blick etwas Fragendes; aber auch Ab-
wehrendes, Kaltes und Unentschlossenes,
vielleicht sogar Verächtliches. Das Gif-
tige in den Augen zu matt, als daß es
bedrohlich werden könnte; ein Jrrwisch
ohne Dämonie.

Oie E i n s a m e n. H 0 lzschnitt.
Munch hat das Thema wiederhvlt be-
handelt, auch in einem Kaltnadelblatt
 
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