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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

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Heft 12 (Septemberheft 1928)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0484

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aus dem Jahre lögZ. Hier mrt verein-
fachteren Mitteln nnd m der größeren
Straffheit des Einzelnen, in der klaren
Scheidung der räumlichen Zonen, die in
grenzenlose Fernen weisen, packender im
Ganzen. Jft dort das Meer deutlich
erkennbar, so wird es hier zu einer
nebligen Glaswand, in der es gespen-
stert. Der langgezogenen Woge fchwere
Melodie erstarrt wie zu einer zackigen
Mauer; vor ihr und hinter ihr Schwei-
gen, das Schweigen der Unendlichkeit.
Aus der WirrniS des trümmerhaften Ge-
stades erheben sich die Menfchen wie
ragende Male: sie gehören zusammen
als Mann und Frau, als Menschen ge-
meinsamen Schicksals und StrebenS —
wie von weitem fcheinen sie gekommen
auf langen, mühsamen Wegen, um nun
vor einem Geheimnis zu stehen, daS sie
bannt und zugleich vereinsamt, verein-
zelt: jedes ist anders ergriffen und fest-
gehalten. Dahinter ahnen wir die Hilf-
losigkeit des heutigen Menfchen gegen-
über allem Unergründbaren der Welt
und seines eigenen Wesens. Das hin-
gebungsfähigere, naturhaftere Weib wird
davon wie entleiblicht, sie steht vor einer
Dision, der sie sich überläßt, die sie
packt und strafft und zugleich in sich
hineinzieht; so wird sie des Geheim-
nisses teilhaftig. Deö ManneS fchwerere
Art wird von dem Anblick noch mehr
befchwert. Prüfend bohrt er sich hinein,
wird unentschlossen und dumpf gemacht,
gelähmt. Was ift Geist und Wille gegen-
über letzten Rätseln? — Die Melancho-
lie eines Notturno. Je mehr man sich
hineinfchaut, desto mehr wird man her-
auSfchauen, erfühlen.

Mädchen auf der Brücke. 1921.
Holzschnitt. Auch dieses Thema hat
Munch in Gemälde und Graphik wie-
derholt behandelt, hier im Gegensinn.
Man halte das Blatt gegen das Licht
und sieht dann auf der Rückseite die
Komposition der früheren Fassungen.
Auch hieraus spricht der Natur hinter-
gründige und unterirdifche Macht; das
Brütende und Lauernde ihrer Lautlosig-
keit steigert sich fast bis zum Unheim-
lichen — erreicht durch eine unerhörte
Meisterfchaft im Gebrauch des Schwarz-
Weiß, durch den Gegensatz des lastenden
Dunkels und der gespenstifchen Helle.
Der Mädchen Gebanntsein verdeutlicht
daS Unentrinnbare der Situation. Man
sieht hier tief in Munchs künftlerifche

Absichten hinein: nicht den Sinnesein-
druck der Wirklichkeit will er wieder-
geben, vielmehr dessen ftimmungsmäßi-
gen Niederfchlag. Sein Erlebnis drängt
er mit wenigsten Mitteln in das Ge-
sehene hinein und verdichtet damit die
Wirklichkeit in ihrer Subftanz und Funk-
tion. So werden die Häuser beinahe ver-
fteinert, die Gartenmauern in ihrer Ver-
fügung zusammengepreßt, werden die
Bäume ballig und gedrängt, steigt die
mächtige Laubkrone wie eine Kuppel
empor, liegt das Wasser tief und fchwer
in sich versenkt, streckt sich die Straße
in zähem Gefchiebe. Alles ist von selt-
samer Lebendigkeit erfüllt, fchließt sich
zusammen und gegen außen ab. So
zieht sich die Schloßpartie vom Wasser
zurück, wie dieses sich in seiner Um-
rahmung von ihr löst. Und doch wieder
ein merkwürdigeö Jneinanderverfchlun-
gensein! Wie der Wasserspiegel dem
mächtigen Baum im Schatten gleichsam
die Seele entzieht, dieseö stille Umspon-
nenwerden, dieses Eintauchen und Unter-
tauchen der Dinge und Menfchen m
die Nacht erweckt ein Gefühl wehrlosen
GefangenseinS. Das vorderfte Mädchen
spürt es, ift davon ganz gebannt; äußer-
lich sichtbar wie der Baum, versinkt ihr
Jnneres gleich dessen Schatten m die
dunklen Abgründe nächtlicher Ahnungen.
Das nächste Mädchen ift nur verwun-
dert über das, was um den Baum vor-
geht und von ihm ausgeht; der Dritten
ist er bloß Gegenftand der Neugierde.
So steigert sich eins am andern. Wie ift
auch jeder Strich an seinem Platz; bald
als lockerer Umriß, bald als fchroffe
Kante, hier ein leichtes Geriesel, dort
ein zähes, rissiges Band, wie hat er je-
weils Anteil am Körperlichen, Funktio-
ncllen und Stimmungsmäßigen! Dieser
Munchfche Strich ist nicht schön, viel-
mehr rauh, rissig und ungebärdig, aber
immer ausdruckövoll. Wie man gelegent-
lich sagt, daß sich der Geist den Leib
fchafft, so beftimmt hier die Jdee die
künftlerifche Form. Nur wer diese Jdee
versteht, verfteht ihren Gehalt, deren
neue Art nicht aus einem neuen Form-
willen geboren ist, sondern aus einer
neuen Geistl'gkeit.

Greise und Jungen. igo^. Holz-
schnitt. Schiefler wertet das Blatt als
„einen Gipfelpunkt Munchfcher Kunft
überhaupt". Zunächft rein formal. Die
Derspanmmg und Spannung in deri

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