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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

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Heft 9 (Juniheft 1928)
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Helveticus [Pseud.]: Blick auf die Schweiz
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0195

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einer Gegenwehr gegen das gigankisch verheerende Treiben der städtischen Me-
chanismen erleben. Stellk er sich wirklich ein, so wird wohl auch die Schweiz,
gehalten von ihrer lebendigsten Tradition, für ihre Gefühlsmacht eine Stimme
und für ihre Trägheit einen mutigen Ausschwung finden. Solche Missionen
hat sie stets mit einer Rückhaltlosigkeit vollführt, die zu ihrem gewohnheits-
mäßigen Gehaben den merkwürdigsten GegensaH bildete und die Nachbarn
etwas erstaunte, die aber ihrem spontanen Drang, der auch im übertragenen
Sinn gerne helfend, gefährdetes Leben beschühend auftritt, am innigsten
entspricht.

Solange sich dieses schöne Augenblicksereignis nicht vollzieht, mag sür die
Wartezeit, in der wir leben, auch dic Überzeugung zu Recht bestehen, daß es
Werte des Charakters gibt, die sich der präziseu Äbschähung aus dem Markt
der aktuellen Jnteressen entziehen: eine Stärke, die ini Verhaltcnen liegk,
eine menschliche Existenz, die ohne laute Worte und weithin sichtbare Gebärden
sinnvoll in sich ruht, ohne zu verderben, und eine Fülle der Gaben, die sich
in der Stille verbreitet, kurzum: ein Recht auf menschliches Sein, sei es
Leiden oder Genuß, Handeln oder Traum, über das nicht die Federn entschei-
den. Dieses geheimere Wesen, nicht das Geschrei der Makler ist cs, das heute
so sicher wie je die Welt erfüllt und erhält. Laßk euch nichk beirren: iWorte
sind nicht das Lehte, selbst die Kunst ist nicht das Tiefste dieses Lebens. Wie
lange schon tönen die Wasser des Gebirges durch die Täler des Gokthard,
des Wallis, des Engadins, und was ist uns davon in Worken überliefert,
faßlich ausgesagt? Was besteht unter uns, das dieser Vorwelksgeräusche
würdig wäre? Ilnsere Sinne sind wacher geworden und vernehmen die Ant-
wort genau, welche heißt: nichts. Tibet oder China liegen näher an dieser
Litanei aus Wasser und Stein als irgcndein Zeugnis der bürgerlichen Epoche,
das sich an diese Geheinmisse anzubiedern sucht. Es ist von ihnen noch nichts
gesagt, nichks odcr doch wenig genug, davon und von vielem andern. Wir
müssen neu beginnen, das Alte zu begreifen. Beginncn wir also, jeder auf
seine Ark, redend und handelnd oder mit der Fnbrunst des ergrisfenen
Schweigens.

Lose Blätter

Albrecht Schaeffer: Eine Erzählung Reginas

Vom Fäßchen, vom gelöschken Iramen, vom goldenen
Grissel und den wissenden Füßen

ls wir noch in Burghausen lebten, meine Mutker und ich — nicht Burg-

^^hausen am Rkeckar, sondern an der Salzach —, da wohnten tvir in
einem alten Turm, der auf der Stadtmauer stand. Der Blick in das Land
war schön; aber er und der Turm selber sind nicht wichtig in dieser Geschichke.
Wichtig isi nur, daß der Turm ein Kellerchen hatke. O, cin cntzückendes,
schneeweißes gewölbtes, ein kokettes Kellerchen war es. Es war aber leer, bis
der Faßbinder kam. Der verstand sich auf Weine, und eines Tages, als er das
Kellerchen sah, sagte er: „Da gehörk ein Weinchen herein; ich weiß eines,
es soll auch nicht teuer sein, so cin Fäßchen, ein feines."

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