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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

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Heft 9 (Juniheft 1928)
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Helveticus [Pseud.]: Blick auf die Schweiz
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0194

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welkfreundlichen Einsamkeik in einem Essai „Lob der Heimak" (Verlag der
Mnnster-Presse) tief und bezeichnend ausgesprochen.

Die Schweiz ift ein modernes Land. Keine quiekiftifche These, nichks weniger
als der faule Friede eines Reservats umnebelk die Straßen, die Köpfe ihrer
heukigen Generakion, von der die ins Engadin reisenden Agenken und Ge-
fchäfteverdauer freilich nichks gewahrcn. Sie unkerliegk in vielem der Gefahr
des Verschontseins, der leerlaufenden Überlieferung, aber sie erkennk sie mik
den Augen ihrer Beften und beginnk aus ihr lebendige Konsequenzen abzuleiken.
Die MelseikigkeiL ihrer Anlage gibk ganzen Schichken ihrer Gesellfchafk
eine innere Liberalikäk, die eine Garantie der ungebrochenen Enkwicklungs-
fähigkeit enkhälk und in gewissen Momenken wie eine Jnsel der bürgerlichen
Kultur erfcheink, die aber immer fchon auch für die Träger der äußerften
Schöpferleidenfchafk ein segensreiches Refugium bereithielk, wofür wiedernm
Gefchichke, aber auch die Chronik des zeikgenössifchen europäischen Geifteslebens
aufzurufen wäre. Das fchon legendäre Skerben Rainer Maria Rilkes licgt
in diesem Lichte da (die französifch gedichteken Lieder dieses Edlen auf das
Rhonetal sind ein Beweis für den Sinn der Gaftfreundschafk, die von der
Schweiz in den fchönften Fällen geübt werden darf), aber auch unter den
Lebenden, und nicht nur Deukfchen, wäre mancher zu nennen, der auf fchweize-
rifchem Boden seine Wahlheimak gefunden hat, mik welcher ihn mehr als
zufällige Liebe verbindek.

Diesem Zug von Gäften enkgegen bewegk sich ein anderer, der aus der Schweiz
in die Fremde führk. Wie das Rkationalitäkenproblem, ift auch das der Koloni-
sakion ohne imperialiftifchen Aufwand, auf wohlkuend natürliche Weise im
„Auslandfchweizerkum" gelöft. Es umfaßk neben sehr zahlreichen, zum Tcil
ftarken, offiziell organisierken Koloniftengruppen in der ganzen Welk auch jene
nennenswerke zerftreutere Schar von Schweizern, die heuke im geistigeu und
künftlerifchen Leben der europäifchen Staaten an vorderer Stelle ftehen und
dann von den Gaftländern gern als ihresgleichen genommen werden. Daß
Le Corbusier oder Hermann Haller Schweizer sind, kümmerk in Deutfch-
land oder Frankreich niemanden viel, aber es ift, fcheink mir, nicht ohne
Grund, daß gerade die Schweizer sich so selbftverftändlich in einen inkernakio-
nalen Rahmen fügen. Sie sehen ihm faft durchwegs nur geringe oder keine
Auswüchse des Charakters und Lebensftils enkgegen, woraus hervorgehk, daß
es um ihre Verknorrung nichk so übel beftellk sein kann, wie cs in vorgeftrigen
oder um eine Spur zu leichtfertig abgefaßten Büchern zu lesen fteht. Dies
alles zusammengcnommcn, selbft wo es beinahe verwandlungssüchkig, charak-
kerlos erfcheint, und auf den Grundkon einer ererbken Luft zum Beharren, zur
einsamcn Bersenkung zurückbezogen, ergibk viellcichk cinen Abklang jenes We-
sens, das sich auf dcr fchweizerifchen Erde seik langem so unmißverftändlich
äußerk. Es ift der Grundton, das Verborgenfte, heuke mehr als je, auf dem
man Verallgemeinerungen errichken sollke, wcil die Oberflächeu so schwächlich
geworden sind, daß nur das Verborgene sich vielleichk noch einmal als mächkig
erweisen wird.

Es ift nicht möglich, vollftändig zu reden über Lebendiges, das man liebk.
Man soll nur versuchen, gerechk zu sein, und auch dorthin zu zeigen, wo man
nichk hassen kann. Die Zeik ift vielleicht nicht fern, wo wir den erften Skoß
 
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