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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

DOI issue:
Heft 9 (Juniheft 1928)
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Helveticus [Pseud.]: Blick auf die Schweiz
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0193

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cliquen gegenüberstehen: den Ruf nach WirklichkeiL, mag er noch so Lenbenziös
verfärbk sein, begrüßen sie als eine verwandke Skimme. Überall, wo Stofshnn-
ger, Ersahrungsbegier sich äußern, fühlk sich der Schweizer im Innern an-
gesprochen. Da vermag er miLzutun (wiewohl er jeweils bald ins Eigenbröt-
lerische oder Visionäre überschlägt, wobei er aber auch in der Ekstase seltsam
„wirklich" bleibt), da schnellt seine schwere Ruhe mit eins m ein behendes
Spielen um, da erscheinen an ihm Grazie und Freude an der leichten Bewe-
gung. Er ist imstande, Realität mit beiden Händen stämmig aufzuheben und
sie kindlich versonnen in einen wahren Spitzenflor von Arabesken anfzu-
lösen, ohne daß ihm doch der Sinn für die Ncaterie verloren geht. Traugokk
Vogel, das stärkste Erzählertalent der im Kricg gereiften Nachkomiiienschaft,
hat in seinen Romanen „Unsereiner", „Ich liebe, du liebst" und in einem
absonderlichen Märchenbuch „Die Tore auf" dieses Doppelgemüt: das nach
Grundgeheimnissen und nach wolkenhaftem Fließen der Inspirationen hun-
gernde, in einer Weise aufgezeigt, die auch m Deutschland beachtet werden
sollte. Ein Artverwandter ist Otto Wirz, ein Sohn senes überschweren
Kampfes um eigenste Form, der bei uns allzu oft in srühe Resignation oder in
plöHliche Katastrophen mündek, hier aber (in den „Gewalten eines Toren")
auf dem langen Weg eines zweibändigen Gsttsucherromans die sichkbare, lang-
wierige Aufhellung zum originellen Ausdruck erreichk hat. In Msionen be-
fangen ist auch Hans Mühlestein, der das Erbe Bachofens dichtend und Ge-
schichte deutend weiterzutragen suchk. Er gehört zu jenem unverwechselbaren
Stamm des geistigen Bernertums, das als echte Rkachfahren Albrecht von
Hallers auch Alberk Steffen, den zur Awchroposophie Steinerscher Qbservanz
übergetretenen Autor von „Otk, Alois und Werelsche", der „Sibylla Ma-
riana", der „Bestimmnng der Roheit", nnd Alfred Fankhauser, einen durch
den deutschen Expressiom'smus geweckten, heute über Rätseln der Astrologie
grübelnden Romanschriftsteller hervorgebracht hat. Aus Bern geboren ist auch
Max Pulver, dessen auf weltstädkischen PläHen ausgebildete strenge Sprach-
kunst stets aufs neue den Durchbruch glühenden Gefühls verrät und in einer
meisterlich entwickelten graphologischen Intuition eine Rkebenkrone des Ge-
stalterwillens hervorgetrieben hat.

Schon dieses wenige zeigt das Signum der zeitgenössischen schwejzerischen Ent-
wicklungen: das Außenseitertum. Rund um den Zürichsee, in der seit alkers
merkwürdigen Iurarinne, in der Gegend von Bern und mannigfach zerstreut
bis in die Gebirgstäler hinein wohnt heuke eine Gruppe jüngerer Schweizer,
die wenigstens im Geiste einmal zu versammcln und dem fernstehenden Skeptikerzu
zeigen sich wohl verlohnen würde. Keiner von ihnen hat einen „großen" Nn-
men, aber mehr als einer ein endgültig unterschiedenes Gepräge. Sie alle
vereint ergäben wohl das, was man eine geistige Physiognomie zu ncnnen
pflegt, aber sie sind schwerer zusammenzuschauen als die Züge eines kon-
ventionellen Gesichts, die Bestandteile einer begrifflichen Konstruktion. Sie
sind sämtlich ein wenig mehr wert, als sie gelten, sie haben alle ihr Guk nicht
gänzlich in gangbare Münze ausgeprägt, sie stellen das Glück der Hinter-
gründe, des Überzeitlichen, Üngesagten und immer Unsagbarcn dar. Meinrad
Inglin, ein Innerschweizer (Romane „Die Welk in Ingoldau", „Über
den Wassern", „Grand Hotel Exzelsior") hat vor kurzem das Credo dieser
 
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