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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

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Heft 10 (Juliheft 1928)
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Thormann, Werner E.: Der Intellektuelle in der Politik
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0279

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Mensch wird in der Politik die Wahrnehmung seiner Inkeressen suchen, aber
auch der Uninkelligenteste wird zu überzeugen sein, daß Schein nnd Sein sich
nicht zu decken brauchen, daß deshalb eine ernste sachliche Prüsung vieler an-
geblicher Interessenvertreter sehr wohl am Platze ist. Erziehung zur politr-
schen Sachlichkeit könnte das lockende Ziel einer überparteilichen politischcn
Ergänzung der Intellektuellen aller Fronten bilden.

Freilich, der Forkschritt ist keine Größe, die sich mathematisch bcrechnen läßt.
Politik ist nicht nur die Kunst des Möglichen, sie hat mit irrationalen Ge-
gebenheiten so gut zu rechnen, wie mit dem Walten des Zusalls, mit der
Wirklichkeitskraft des Mythos, wie mit der verführerischen Wirkung der
Legende. Und sie ist an das veränderlichste, undurchdringlichste, eigcnwilligste
und beeinflußbarste Objckt gebunden: den lcbendigen Menschen. Der praktische
Politiker wird immcr um die Hilse des Menscheu werben müssen, den man
in sinnerfüllken Epochen den Weisen nannte, und der in einer Zeit der Enk-
sormung, Zersetzung nnd Wandlung nur in der stellvertretenden, oftmals ver-
zerrten und allzu oft seiner Verantwortung nichk bewnßten Gestalk des Intel-
lektuellen gesunden werden kann. Wer den Glauben an das Leben nicht ver-
loren hat, wird auch den Glaubcn an die Berufung des Geistes in der Politik,
an die endliche Begegnung des Intellekkuellen mit dem politischcn Führer
nicht verlieren dürfcn. llnd er wird sich jedes Zcichens der Zeik sreuen, das als
ein Schritt zu solcher Begegnung gedeutet wcrdcn kann.

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Das Qs?fer

Erzählung von Emmy von Egidy

(^n dcn 8oer Iahren des vorigen Iahrhunderts erschoß sich in Rom ein
^Djunger Gras K. ans dem Grabe von Goethes Sohn, während noch die leH-
ten Rosen dcs Iahres aus den Zypressen des Kirchhofes herabhingen. Er hatte
eincr der Gesandkschaften zugehörk. Sein Vakcr, durch ein Telegramm herbci-
gerusen, stand am nächsten Tage schon an der Leiche des Sohnes; ihm über-
reichte dessen VorgeseHLer, Baron H., eincn Bries, der mit seinem llkamcn ge-
snnden worden.

Graf K., nachdem er räkselnd eine Weile auf die wenigen Zeilen gesehen, senkte
den Kopf, rasfte sich dann plöHlich aus fchwerem Sinnen auf, faltete das Pa-
pier, barg es in seiner Brieftasche und sagte, daß auch dies Schreiben keine
Aufklärung enthalte und keilte seine Absicht mit, in der Wohnnng dcs Sohnes
einige Tage zu bleiben. Hier am erften werde ein Gchcimnis sich zeigen, sollte
ein solches beftehen und eines Eingreifens bedürfen.

„Wenn ich es der Baronin zumuten darf, cinen so gebeugken Bater zu cmpfan-
gen?" fragte zögernd der Graf, und dcr Baron crwidertc schnell einfallend:
„Meine Frau läßk Exzellenz ihr tiefstes Mitgesühl ausdrückcn, wollen Erzel-
lenz nur die Zeik bestimmen?" „Nach der Becrdigung, lieber Baron, bitte
vorläufig meincn Dank auszusprechcn."

Allein gelassen, versenkte sich der Graf wiedcr in das Briefblatt und starrte,
eine Offcnbarung erwartend, auf die dnnklen Worte. Bald aber irrten seine

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