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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

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Heft 11 (Augustheft 1928)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0405

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wesentlich mehr ab als bloß daS Schick- Volkes ist nnlösbar da hineinverfloch-
sal der einen Partei: das Geschick unsres ten. Wilhelm Michel

Zu unseren Bildern und N'oten

öbel: Der Sinn für behaglicheS
Wohnen erstand in der höheren Ge-
sellschaft Europas erst unterLudwigXIV.,
namentli'ch in den französischen Schlös-
sern. Die bürgerlichen Kreise gewan-
nen die ihnen angemessene „Einrichtung"
erst nach der französischen Revolution,
die ihnen die völlige Gleichberechtigung
neben den „höheren" Ständen des Adels
und der Geistlichkeit eroberte. Der beste
Ausdruck des Bürgerlichen wurde das
Biedermeiermöbel, das einer wohl-
temperierten Häuslichkeit die würdige
Nepräsentanz schuf: das Schlichte und
handwerklich Gediegene verband sich
mit Gepflegtheit. Seit den fünfziger
Jahren des ig. Jahrhunderts setzte die
Stilnachahmung auch hier ein und ver-
darb die Möbelform durch Schwere und
Umfang, überreiche Ornamentik und
wachsende Unzweckmäßigkeit. Die Jn-
dustrialisierung des Betriebes brachtc
die „Garnitur", die aus dem Massen-
bedürfnis von Dersailles eben dort er-
standen war und erst mit dem Bieder-
meier sich auflöste; man schuf eine mög-
lichst gleichmäßige Raumausstattung von
bestimmten Stücken, die in der Form
weitgehend zusammenstimmte. Das
Nouveaute-Bedürfnis der heutigen Fa-
brikation hat solche Garnituren dann
jeweils mit anderen, meist schlechten Qr-
namenten neu abgewandelt, vhne auf
die Verbesserung des Typus zu achten,
so daß das Allermeiste praktisch und
ästhetisch minderwertig wurde. Eine
leichte Besserung kam durch das neue
Möbel, das wir der neuen Kunstbewe-
gung verdanken; immer noch aber ver-
legt sich die Massenherstellung nicht auf
das anständigc Einzelstück und seine
Durchbildung, sondcrn auf die Garnitur.
Das ist ein wirtschaftlicher Unfug, der
die Einri'chtung verteuert und gefchmack-
lich verfchlechtert. Erst die modern ein-
gestellten Betriebe haben hierin einen
Wandel zum Besseren angebcchnt. Auf
der Dresdener 2lusstellung von 1906,
die das neue deutsche Möbel in über-
raschender Klarheit vorführte, zeigten die
„Deutschen Werkstätten" Typenmöbel
von guter Form und solider Ausfüh-

rung, die auch zu einer gesamten Ein-
richtung verbunden werden konnten.
Nach einem wohlbedachten System
wurden die Möbel auf gewisse gemein-
same Teile wie Wände, Türen, Schieb-
fächer usw. zerlegt, die zu beliebigen
Derbindungen zusammengefügt werden
konnten und dadurch eine billigere Her-
stellung bei gediegencr Arbeit und guter
Form ermöglichten. Der Kunstwart hat
unter Avenarius für diese Möbel außer-
ordentlich viel getan und erreicht, daß
sie sich gerade im gebildeten Bürgertum
zahlreiche Freunde erwarben: Ärztc,
Kaufleute, Lehrer, Beamte, Jngenieurc
wurden die Käufer und Freunde des
neuen HauSrateS, mit dem ein gesunder
Sinn in die Wohnung einzog. Der Krieg
hat diese Entwicklung gewaltsam unter-
brochen, und unsere gegenwärtige Not
läßt nicht zu, solche Möbel zu erwerben.
Deshalb haben die „Deutfchen Werk-
stätten" durch die Mithilfe von Pro-
fessor Schneck einen neuen Typ ge-
schaffen: Möbel, die zugleich unserer
heutigen strafferen Fvrmauffassung ent-
sprechen und im Preise erschwinglich
sind. Jn solchem Sinn wurde auch
von anderen auf der Stuttgarter Werk-
bund-Ausstellung mancherlei geboten.
War auch nicht alles schon endgültige
Lösung, so ergab sich doch viel An-
regung und einzelne ganz vortreffliche
Leiftungen; als besonders empfehlenS-
wert in solchem Sinn muß ich die Mö-
bel des Frankfurter Architekten Kramer
bezeichnen, die, ganz auf Zweck und ein-
fachste Konstruktion eingestellt, auch in
der Form befriedigen. Sie sind we-
sentlich unter dem Gesichtspunkt des
guten Einzelmöbels gestaltet und bre-
chen mit der „Garnitur". Nur dadurch
wird es möglich, für die heute jo sehr
beschränkten Wohnverhältnisse wiederum
eine Einrichtung zu erreichen, die ein
Heimgefühl erzeugt. Es muß auch im
Möbel alles auf den gedrängtesten Ge-
brauchszweck gebracht, es müssen mög-
lichst verwandte Zwecke miteinander ver-
bunden und auf die einfachste Form qe-
bracht werden. Nur dadurch komnien
wir wieder zum Bewußtsein des Nau-

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