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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,2.1928

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1928)
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Vetter, August: Romantische Frömmigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8884#0434

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des Geistes und der Idee werden. „Das Weib ist der Gegensatz des Dandy."
Diesen Satz Baudelaires bestätrgt Kierkegaard: „Das eigentlrche Wüten
gegen das Jdeal geht vom Familienleben, von der Löwin aus." N'ach seincr
Anffassung ist das Endliche die Bestimmung des Weibes. „Das Weib kann
nichts dasür, aber es ist dazn bestimmt, den Mann zu demütigen und unbe-
deutend zu machen." Äon der allgemeinen Geringschähung wird die geistige
Frau nicht ansgenommen. Baudelaire versteigt sich zu der boshasten, die
platonische Liebe zwar bestätigenden, aber auch verzerrenden Bemerkung: „In-
telligente Frauen zu lieben ist ein Päderastenvergnügen." Schließlich wird
mit der Geistesbestimmnng auch die religiöse VorausseHung dem andern Ge-
schlecht aberkannt. Kierkegaard meint, das Weib könne nur durch den Mann
zum Gottesverhältnis gelangen. Und Baudelaire erstaunt darüber, daß man
Frauen in die Kirche ließe.

Das überspihte Reinheitsbedürfnis dieses männlichen Pricstertums entwirk-
licht die Religion zum Protest und „Parador" schlechthin. Der Begriff
Christ ist sür Kierkegaard „ein polemischer Begriff; Christ kann man nur
im GegensaH zu andern sein, oder gegensählicherweise". „Sobald der Gegen-
sah gegen andere weggenommen wird, verliert die Existenz des Christen ihrcn
Sinn." Wie hier das Christentnm, so wird sür Baudelaire Gotk selbst znm
„Ärgernis". Ihn beseelt gleichfalls der „Fanatismus der Demut", der
„nicht einmal darnach trachtet, die Religion Gotkes zu begreisen". Der Glaube
ist zur unbedingten Leidenschast geworden, und „die Leidenschast ist eben das
Spannende beim Widersprnch". Die Stimme der Vernunst wie die For-
dcrung der Wirklichkeit sind darin zum Schweigen gebracht. Sogar das
Dasein Gotkes wird bei Baudelaire enkbehrlich: „Selbst wenn es keinen
GoLL gäbe, wäre die Religion noch heilig und gökklich." „Gott ist das ein-
zige Wesen, das zum Herrschen nichk einmal der Existenz bedars."

Den Schlüssel für die geheimnisvolle Beziehung, die hier zwischen der wider-
natürlichcn Lcbensausfassung und dem widerspruchsvollen Glaubensbekennt-
nis besteht, gibt Kierkegaard, wenn er sagk: „Man muß ein Gottloser sein,
um der Auserwählte Gotkes zu werden." Erst das Dämonische führt zu
Religiösem. Dem verlorenen Sohn, nicht dem Gerechten wird die Gnade
zuteil. Und seine Berirrung wie seine Errettung liegt jenseits aller Nnkur-
bestimmungen.

Was im ChristcnLum als allgemeine Glaubenslehre verkündigt wird, das ver-
dichtet sich bei Baudelaire und Kierkegaard zu persönlichster Wirklichkeit.
Doch erleben sie nur in voller Ilnmittelbarkeit, was dem neuzeitlichen Mcn-
schen überhaupt sühlbar wird. Die nakürliche Bindung zwischen Trieb und
Geist lockert sich zunehmcnd, und durch die daraus entspringende Übersteige-
rung müssen bcide Kräste entarten.

Ihren lehten Zusammenhalt besaßen die gegenstrebigcn Bildungsmächke in
der klassischen Kunst und dcr gleichzeitigen Philosophie. 2lls diese sich in der
Romantik auslösten, entstand der Dandy und Ästhek, der verzweifelte Lebens-
künstler, hinter dessen Maske der christliche Glaubensheld wieder schamhaft
sichtbar wird. 2lber weder für den Verführer noch für den Erlöser, weder
für das Geuie uoch für den Apostel hat die mit der Romantik ebensalls
heraufkommcndc und über sie zur Vorherrschask gelangende Zivilisation cin

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