Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1915)
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0132

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
dern wer amerikanisch fühlt, aber
fähig ist, einmal mit dem geistigen
Auge von Deutschland aus, nein,
von der eigenen Höhe aus Ame-
rika anzusehn — wir dächten, den
müßte jetzt schaudern. Wenn die
Lhre eines Staates je auf dem
Spiele stand, steht sie jetzt in Ame-
rika auf dem Spiel. Solange ihr
für tzunderte, für halbe Tausende
von Millionen die Wassen verkauft,
die gegen die Herzen unsrer Brüder
und Söhne gerichtet sind, solange
verschont uns mit Spenden für ihre
Hinterbliebenen. Solange wirken
auch eure Gebete um Frieden für
unsre Ohren nur wie Spott gegen
Gott. Nur für unsere? Nein!
Entweder: schafft Anderung gegen
eure Kapitalisten, oder aber: wun-
dert euch nicht, wenn später selbst
denen eure „Freiheit« herzlich wenig
imponiert, die jetzt euch schmeicheln,
weil ihr ihnen helst.

Für die deutsche tzeeresleitung
hätt ich einen Vorschlag. Bei je-
dem Gefecht, bei dem amerikanische
Munition festgestellt ist, füge sie die
zwei Wörter hinzu: „Amerikanische
Munition". Das würde diese Tat-
sachen ins Bewußtsein der Welt ein-
hämmern, bis endlich den Anständi-
gen zur Unerträglichkeit. A

Politik des roten Kopfes

lle die Iahre entlang haben wir
durch unsere ruhige Arbeit hin-
durch den Racheschrei über den Was-
genwald gehört. Wir haben die
Schultern voller Geringschätzung und
fast mit Ekel abgewandt. Wir waren
uns darüber einig, daß der Rache-
schrei ein recht niedriges politisches
Leitmotiv für ein großes und geist-
reiches Volk sei. Nein: Wir waren
überzeugt, es sei das Gebaren eines
zweitrangigen Volkes. Wir sagten
uns, daß Menschen wie Völker sich
danach scheiden, ob sie von positiven
Ideen oder von Reflexinstinkten
leben und bewegt werden, anders

ausgedrückt: von schafsenden oder
von spiegelnden Gedanken, von Kräf-
ten, die ihr Ziel wollen, oder von
Wünschen, die nur das Ziel eines
andern hindern wollen. Wir sagten
uns, die Menschheit scheidet sich in
Völker, die sich ein Ziel ihrer eige-
nen Äberzeugung stecken, und solche,
welche sich ihr Ziel durch Beisall und
Bewunderung anderer stecken lassen.

Völker erster und zweiter tzand.
Aus erster Hand lebt der Mensch,
der seiner Notwendigkeit folgt. Der
seine innere Stimme, den Rus in
sich, seinen „Berus" zu hören sucht
und ihm allein gehorcht. Alle großen
Lebensromane in unserm Volk haben
diesen Inhalt. Björnson am besten
schilderte diese uns so überzeugenden
Knaben und MLdchen, die in ihrem
Schicksal nach ihrer Lebensausgabe
forschen und unter der schweren, den-
noch süßen Last ihrer unbewußten,
sehnsüchtig gesuchten Zukunft wie
träumend einhergehen. Träumer,
die sich dann mit ähnlicher Wucht
in Täter verwandeln können, wie
sich das Volk der Träumer in das-
jenige Bismarcks und unsrer Tage
verwandelt hat.

Dies wäre der Schlag der schöpse-
rischen Menschen, meinten wir, das
Volk, das geradeaus lebt, aus inne-
rem Zwang. Das Volk, das in sich
hineinblickt und aus seinem Innern
seine Zukunst herausschöpst und vor
sich wirst. Ein Handeln aber aus
Ehrsucht und, wenn sie verletzt wird,
aus Rachsucht hielten wir für das
äußerste Gegenteil dieses Volks-
ideals. Lhrsucht und Rachsucht sind
zwei Wendungen eines und dessel-
ben Charakters. Sie haben die
gleiche Ligenschast, daß sie nicht ein
Ziel an sich suchen, sondern ein Ziel
im Vergleich.

Ienes Volk der Notwendigkeit
und des Schicksals will etwas ge-
radeaus vor sich. Wie es sür sich
und seinen Weg Achtung verlangt,
so zollt es sie den andern und ihren

j06
 
Annotationen