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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

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Heft 15 (1. Maiheft 1915)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0133

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Wegen. Ls wird nie ein anderes
bekriegen, um es zu übertreffen. Es
wird nur angreisen, was sich ihm
in seinen gewählten Weg stellt. Er-
leidet es einen Rückschlag, eine Nie-
derlage, so wird nichts ihm ferner
liegen als der Pöbelgedanke, daß es
Nache zu nehmen oder „eine Scharte
auszuwetzen" habe. Vielmehr wird
es sich sragen, ob es das Verlorene
wirklich und unbedingt nötig hat.
And so hat es Osterreich gemacht
l870, so hat es Dänemark gemacht.
Das ist Freiheit des Willens und
des Blicks, die uns Achtung abnöti-
gen. Frankreichs vernunstverlassene
Rachepolitik, die Politik des roten
Kopfes haben wir ehrlich bemitleidet,
aber bewundert wahrhastig nicht.
Lbensowenig wie wir jetzt das Rache-
geschrei der kurzsichtigen italienischen
Gassen- und Krawallpolitiker bewun-
dern. Auch an den Botha-Buren er-
staunt uns nicht ihre Bedürsnislosig-
keit an Rache — darin bewähren sie
sich gerade als unsres Blutes — son-
dern an Freiheit.

Man konnte von hier aus einiger-
maßen erstaunt sein, als beim Fall
von Tsingtau auch bei uns, zwar
nicht aus dem Volk, aber doch aus
einem Teil der Presse ein sreilich
recht künstlich anmutendes Rache-
geschrei anhub.

„Sollen wir Tsingtau denn etwa
gar den Iapanern lassen?" Das
kommt daraus an und ist eine Frage
sür sich. Brauchen wir es nötig
für unsre Ziele und ist begründete
Aussicht, daß wir es ohne unver-
hältnismäßige Opser nicht nur
wieder nehmen, sondern auch dau-
ernd sesthalten können, so wer-
den wir es gewiß zurückzuerlangen
suchen. Sonst ebenso gewiß nicht. Wir
werden eben sachlich politisch sragen
und nicht anders. Oder wir treiben
eben die Politik des roten Kopses.

Weiter! Ansere Feinde suchen
mit viel Fleiß die Neutralen in
aller Welt gegen uns auszuhetzen.

Sie scheuen — wir wissen es ja gut
genug — kein Mittel und keine Lüge.
Ist es so verwunderlich, daß sie bei
diesem und jenem ihren Zweck er-
reichen? Was machen nun aber die,
welche in jeden kleinen Riß, den es
unsern Feinden gelungen ist, zwi-
schen uns und den alten Freunden
zu ösfnen, mit beiden Fäusten hinein-
fahren, um ihn weiter auszureißen?
Mögen sie doch erst einmal erwägen,
erstens wie dieses Rachegekrächz in
sremden Ohren kratzt, und zweitens
und vor allem, wessen Geschäft
sie damit besorgen.

„Sollen wir uns also alle Schä-
digungen gesallen lassen?" — Schä-
digungen wollen wir ja eben ver-
meiden. Wo es sich um wirkliche
Schädigungen handelt, das aber
wünschen wir erst untersucht. And
zwar mit derjenigen Ruhe und
Würde, die dem Geradegewachsenen
ziemt, wenn er angekläfft wird, und
die ihm auch mehr nützt, als wenn
er schreit und gestikuliert. Wir ver-
muten: In sehr vielen Fällen wird
man finden, daß erst das Rache-
geschrei den Schaden gebracht hat,
den man sich „nicht gesallen lassen
wollte". Wo aber wirklicher Schade
droht, da wird wahrscheinlich etwas
mehr Weisheit zu seiner Abwen-
dung nötig sein, als das Drauflos-
schimpsen ersordert und verrät.

Line wirkliche Gefahr droht in der
Tat, nur an andrer Stelle, als man
voraussetzt. Wenn wir so sortsahren,
uns jedem zweifelnden Wort gegen-
über ungebärdig zu stellen, so beein-
trächtigen wir diejenige Eigenschast,
die unsre besondere Einlage ins Ka-
pital der Kultur darstellt, das stets
wache Verständnis sür anderer Leute
Eigenart, Sonderstellung, Schwierig-
keiten. Wir setzen das Vertrauen
auss Spiel, das man unter den Füh-
renden zu uns hatte. Wir verlieren
damit mehr, als wir im besten Fall
gewinnen. And verlieren es noch in
einer andern, im Augenblick wich-
 
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