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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

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Heft 15 (1. Maiheft 1915)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0143

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Schulwesen und Kriegs-
zeiten

etzt, da anscheinend alle Lehrer
ihre liebe Not haben, die Auf-
merksamkeit ihrer Schüler bei etwas
anderem festzuhalten als beim Kriege,
jetzt liegt die Frage nah, ob die
Wirkungen und Nachwirkungen von
Kriegszeiten auch spezifisch pädago-
gische Einflüsse enthalten und schul-
gejchichtliche Linschnitte schaffen,
etwa über einen allgemeinen natio-
nalen Aufschwung oder Niederdruck
hinaus.

Eingreifende Anderungen im
Bildungswesen werden schwerlich
viel festzustellen sein. Solche er-
geben sich ja in erster Reihe aus
pädagogischen Entwickelungen selbst,
höchstens im Gesolge kultureller und
sozialer Wandlungen. Wohl aber
ist zu vermuten, daß die tieferen
Nrsachen eines Krieges und der
Art seines Verlaufes zugleich auch
parallele, wenngleich später kom-
mende Wirkungen auf das Schul-
wesen weitesten Sinnes haben. Die
religiösen und politischen Reforma-
tionen des 16. Iahrhunderts hatten
einerseits den Dreißigjährigen Krieg,
anderseits pädagogische Wandlun-
gen im Gefolge. Iener große Krieg
selbst hat gewiß kulturell hemmend
gewirkt, und von der Klage über
seine auch das Schulwesen ver-
rohenden Einflüsse mag trotz neue-
rer Zweifel daran doch ein beträcht-
licher Teil stimmen. Aber wenn
selbst die Studenten der Nniversi-
täten das ganze Sommersemester
als Krieger schwänzten, so kamen
sie doch im Wintersemester wieder.

And was vor sowie zu Beginn
des Dreißigjährigen Krieges Rati-
chius pädagogisch Neues brachte,
das entfaltete seine Wirkungen auch
schon während der Kriegszeit. So
seit etwa s635 durch den von ihm be-
einflußten Schupp, den Osnabrücker
Friedensprediger von s6^8. So

noch mehr seit etwa s629 durch Her-
zog Ernst den Frommen von Gotha,
dessen „Schulmethodus" von s6^2
eine Epoche in der Schulgeschichte
bedeutet. Seit s63s arbeitete Co-
menius an seinen theoretischen und
praktischen Werken, sogar mit Teil-
nahme von politischen Größen wie
Oxenstierna und Racoczi. Eine
pädagogische Nachwirkung läßt sich
jenem Krieg immerhin zuschreiben:
er hat das dem vorhergehenden
Iahrhundert entstammende humani-
stische Bildungsideal in seiner Aus-
schließlichkeit schwächen und reali-
stische Bildungsideale stärken helfen.

Beträchtlicher war der Wandel
in unsrer Bildungswelt während
der napoleonischen Zeit; ihr fort-
reißender nationaler Zug ist ja viel-
fach genug betont worden. An der
Wucht, mit der daran der Wider-
stand gegen Deutschlands Nnglück
beteiligt ist, besteht kein Zweifel.
Doch der Anteil Pestalozzis sowie
unsrer literarischen Klassiker und
ihrer Anverwandten daran liegt
außerhalb der Kriegslinie. Anders
wieder die Kriege s866 und s870/7j.
Sie änderten pädagogisch nichts
Wesentliches, etwa ausgenommen
die wohl auch sonst unaufhaltsame
Neuordnung des Volksschulwesens
in Osterreich einerseits, anderseits
im Deutschen Reich die Wieder-
errichtung der Nniversität Straß-
burg.

Die Geschichte des Hochschul-
wesens, im besonderen des Studen-
tentums, zeigt begreiflicherweise
immer wieder eine nahe Berührung
mit den Kriegswirren,- und zu den
Folgen der europäischen Nmwäl-
zungen vor einem Iahrhundert ge-
hören die Schließung einiger deut-
scher Nniversitäten, das Entstehen
und Wiedererstehen andrer. Allein
die inneren Wandlungen des akade-
mischen Betriebes waren doch wie-
der von andern Kräften abhängig.

Weit stärker als einen Linfluß
 
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