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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

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Heft 17 (1. Juniheft 1915)
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Stapel, Wilhelm: Kriegerheimstätten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0193

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sie ein viel schlimmeres Äbel ist als die Leichtigkeit der Ortsveränderung,
von der sie nie Gebrauch zu machen gedenken.

Die „unkündbare Rente^, die das wesentlichste Stück des Heimstätten-
gesetzes ist, wäre eine grundsätzliche Durchbrechung des heutigen Boden-
rechtes. Unsre bisherigen Ansiedlungsbestrebungen haben bekanntlich schwer
damit zu kämpfen, daß „die Leute wieder weglaufen", daß die Angesie-
delten oft nach wenigen Iahren ihre Stellen mit Gewinn verkaufen und daß
damit der Boden wieder in den freien Verkehr übergeführt wird — eine
wahre Danaidenarbeit. Eben durch jene „ewige" Rente aber bleibt der
Boden in der Hand der Gemeinde oder des Staates, er ist nicht mehr
bloße „Ware", er wird auch beim Wechsel des jeweiligen Besitzers seinem
Zweck erhalten.

Die Hoffnung besteht, daß sich aus der Bewährung der Kriegerheim-
stätten bald ein allgemeines Heimstättenrecht entwickelt. Schon vor elf
Iahren hatte der Reichstag einen Beschluß angenommen, wonach jedem
Deutschen über 2H Iahre das Recht auf Errichtung einer „Heimstätte"
gegeben werden sollte. Zu einem Gesetz ist es aber damals nicht ge-
kommen. Es blieb bei der bloßen Anregung wie so manches Mal, wenn
es sich um Dinge handelt, die dem parteipolitischen Wahlkampf keine
Nahrung geben, weil sie sich nicht reinlich nach der Elle der Partei-
programme messen lassen. Aber jetzt stehn wir vor einem entscheidenden
Entweder — Oder. Es handelt sich um eben die Frage, die wir im An-
sang stellten. Da ist auch die Anterlassung, das Nein eine eindeutige
Tat. Ein Reichstag, der Hier versagen würde, bedürfte einer Kritik auch
seiner Grundlagen.

Die Kriegerheimstätten sind als ein Anfang zu einem neuen Boden-
recht und zu einer allgemeinen deutschen Siedelungstätigkeit zu werten.
Beides brauchen wir, weil wir, um die neu errungene Machtstellung unter
den Völkern aufrecht zu erhalten, vor allem Kinder und besiedeltes Land
brauchen. Das ist eine noch ernstere Sorge als die ernste um das rasche
Ausschießen der Industrie und des Handels nach dem Kriege, um die Ver-
mehrung des Kapitals, um die Vergrößerung der Städte usw. Industrie
und Reichtum werden wir genug bekommen, auch wenn die Entwicklung
langsam und ohne Gründerzeiten vor sich geht. Und sie werden auf die
Dauer am sichersten fein, wenn sie auf dem festen Grund eines wohl an-
gesiedelten, kinderreichen, gesunden, arbeitsfreudigen Volkes beruhen. Ge-
wiß, sehr starke Augenblicksinteressen stehn einer nachhaltigen Siedelung
und einer Erneuerung des Bodenrechtes entgegen. Aber Interessen, die
der Gesundheit des Volkes entgegenarbeiten, sind in Wahrheit „innere
Feinde". Sollten wir den Sieg gegen die stärksten Weltmächte erkämpfen,
um dem Feind in uns selbst, den Sonderinteressen, zu erliegen? Es gilt
wie nach „noch einmal zu ringen in ernster Geisterschlacht".

Wilhelm Stapel
 
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