Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1915)
DOI Artikel:
Steffen, Gustaf Fredrik: Die britische Politik und der Weltkrieg
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0204

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Lebensinteressen, welche die Gesellschaften als Gesellschaften, die
Staaten als Staaten, die Volkswirtschasten als Volkswirtschaften beherr-
schen, sind es, die allein in letzter tzand einen Krieg wie diesen verursachen.
Lr hat seine Rrsache nicht in den Gedanken oder Anschauungen der Staats--
männer oder der vielen Privatpersonen.

Wer dies nicht einsieht und diese Erkenntnis nicht das ganze Argument
hindurch ehrlich anwendet, der ist meiner Äberzeugung nach unfähig, das
vorsichgehende Weltdrama und dessen Einzelheiten auf wirklich sachliche
Weise zu diskutieren. Der „preußische Militarismus« kann in eigentlichem
oder tieferen Sinne absolut nicht die Arsache des Krieges sein, denn er ist
selbst durch soziale Verhältnisse verursacht worden, die unendlich viel tieser
drunten in den Fundamenten des Gesellschaftslebens liegen als der „Mili--
tarismus^ oder sonst ein „ismus", welcher die Tagesagitationen und die
Tagesjournalistik beschäftigt.

g^er Verfasser der „Schicksalsstunde des britischen Imperiums", Homer
^Lea * (ein Amerikaner, dessen Buch ein Selbstbekenntnis der angel-
sächsischen Rassenseele sein zu wollen scheint), hat uns jedoch bedeutend
mehr zu sagen als in jenem Zitat.

„Das Naturgesetz des Äberlebens der am besten Ausgerüsteten ist unver--
änderlich — wie bitter es auch sei, dies klar einzusehen, wie bitter es auch
sei, nationale Schwäche zu gewahren, und wie melancholisch es auch sein
mag, die Versuche zu beobachten, welche die Menschen machen, um ihre
Zuflucht zu dem Selbstbetruge eines allgemeinen Weltfriedens zu nehmen.
Die englische Weltherrschast kann nur so lange bestehen, wie ihre militä--
rische Entwicklung mit ihrer politischen Ausdehnung und mit der wirtschaft--
lichen Entwicklung innerhalb ihres Gebietes gleichen Schritt hält. Diese
militärische Entwicklung muß außerdem im richtigen Verhältnisse zu der
militärischen, politischen und wirtschaftlichen Lxpansion aller andern Natio-
nen stehen, sowohl jeder einzeln genommen, wie dann, wenn wir Koalitionen
voraussetzen. Die britische Militärmacht kann niemals vernachlässigt wer--
den dürfen oder selbst ihre Verantwortung vergessen, solange das mili-
tärische, politische oder wirtschaftliche Heranwachsen der andern Nationen
auf Linien fortschreitet, welche mit den fundamentalen Interessen des
Imperiums zusammenfallen.

„Dieselben Nrsachen und gleichartige Methoden, welche das Gründen aller
andern Staaten zuwege brachten, haben die britische Weltmacht hervorge--
bracht. Sie ist Stück für Stück durch Kriege und Eroberungen, durch Dieb-
stahl und RLnke, durch das gewöhnliche brutale Anwenden physischer Äber--
macht zusammengefügt worden.

„Die Brutalität ist in aller nationalen Lntwicklung deutlich erkennbar,
und ich versuche dies auch nicht zu entschuldigen. Ein Versuch, es zu ver--
heimlichen, hieße Tatsachen leugnen; es zu loben, wäre die Wahrheit ent--
schuldigen zu wollen. Außer unsern Idealen gibt es hier im Leben wenig,
was nicht brutal ist. Indem wir die Masse der Individuen und ihre zusam--
mengelegte Wirkungskraft vergrößern, vermehren wir ihre Brutalität pro--
portionsweise.

„Durch ausschließlich ethische oder geistige Entwicklung lassen sich Nationen
weder erschafsen, noch werden sie dadurch groß. Nur durch physische Ge--

* Homer Lea, ckbe ot' tbe Zaxons. Harper Brothers. New--Pork und
London. l9l2.
 
Annotationen