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Kunstwart und Kulturwart — 28,4.1915

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1915)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Kann unsre Unbeliebtheit uns nützen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14421#0017

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Kann unsre LlnbeliebtheiL uns nühen?

/^v^-ir sind nicht nur das ineistgehaßte Volk in der Welt, wir sind
v^auch, was ja was andres besagt, das mindestgeliebte. Das hat das
letzte Iahr so deutlich gezeigt, daß wir darüber wohl alle einig
sind. Punkt dahinter, wir nehmen die Tatsache an. Fragen, wie erklärt
sie sich? Rnd sragen weiter: was können wir tun, daß auch sie dem
Deutschtum nütze?

Mancher meint freilich, das brauch es gar nicht. „Mögen sie uns
hassen, wenn sie uns nur fürchten!" Wäre solche Meinung nach Kräften
überlegt, so würde sie eine rohe Gesinnung und ein schwaches Denken
zugleich bezeugen. Gewiß „sollen" sie uns „fürchten^, aber außerdem
„sollen" sie sich mit uns verbünden. Bismarcks millionenoft angerufenes
„Wir Deutschen sürchten Gott und sonst nichts auf der Welt" sagt doch
nicht dasselbe, wie das Zäsarenwort. Es betont die sittliche Forderung,
welche die Verpslichtung einschließt, keinen ohne Not zu zwingen, und
es weist auf die unbedingte Entschlossenheit der Selbstverteidigung eben
für solche, die guten Gewissens sind. Die sittliche Forderung erkennen wir
und die Lntschlossenheit zur Selbsterhaltung bewahren wir. Aber unserm
größten Staatsmann ist es nie beigekommen, die gute Stimmung anderer
Völker gering zu schätzen, wo er auf welche hossen konnte. Lr wußte, daß
zuzeiten schon die Lustbewegung der Unwägbarkeiten Wagschalen aus
dem Gleichgewicht heben oder senken kann, und daß es, zumal in ernster
Zeit, ein politisches Verbrechen ist, sich mit weniger „Freunden" zu be-
gnügen, als man muß. Ferner: das Großmundreden „ihr Haß schiert uns
nicht" hindert uns daran, die Gründe unsrer Rnbeliebtheit mit Sachlich-
keit zu suchen und daraus Nutzen zu ziehn. Gilt doch auch für ein Volk,
daß nichts schwieriger als Selbsterkenntnis ist, aber auch nichts wichtiger.
Und wie wichtig ist Selbsterkenntnis erst für einen Einzelnen oder sür
ein Volk, wenn sie in sich einen Berus zur Führerschaft fühlen, oder wenn
die Geschichte sie vor Führer-Aufgaben stellt!

Nicht etwa, daß wir vor den andern uns bücken sollten: „sagt mir, wo

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