Englische Wandlungen
>-^-^-enn wir auch ganz gewitz kein Interesse daran haben, daß Lngland
P ^sich zur Linführung der allgemeinen Wehrpflicht entschließt, so
versolgen wir die Bestrebungen, das Heerwesen des Festlandes auf
die Insel zu verpslanzen, mit einer Mischung von Gesühlen, bei denen eine
gewisse lächelnde Schadenfreude nicht sehlt. Am den preußisch-deutschen
Militarismus zu zerbrechen, verbindet man sich mit zwei Mächten, die
durch ihre allgemein dreijährige Dienstzeit ihre Männer anderthalbmal
so nachdrücklich mit Kriegsvorbereitung beschäftigen, und kommt zu dem
Lnde, das verhaßte und bekämpfenswerte System in ein Mittel zum Zweck
umzubiegen.
Lin papiernes Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht in Lngland
würde bei dem heutigen Kriegsbetrieb wohl kaum eine überragende Be-
deutung mehr erlangen; die Dinge liegen doch anders als bei der levee
en masse der französischen Revolutionsheere. Aber das ist durchaus mög-
lich, daß als unmittelbare Kriegsfolge in England der Kampf um die
allgemeine Wehrpflicht einsetzen wird, und bei dem kaum vermeidbaren
Zusammenbruch der liberalen Regierung stehen dann die Aussichten für
die Befürworter dieses Amsturzes aller englischen Äberlieferungen und
alles britifchen „Stolzes" (der gerade auch auf der Freiheit vom Waffen-
dienst für das Vaterland ruht), verhältnismäßig günstig.
Für den vergleichenden Historiker, der auf die Wechselwirkung von
innerer und äußerer Politik blickt, ist ja gegenwärtig nichts so interessant
wie die Entwicklung der englischen Verhältnisse, weniges so sehr ein neuev
Beweis, daß die „auswärtigen" Fragen in viel stärkerem Amfang die inne«
ren beeinflussen uud umgestalten als umgekehrt. War nicht gerade eine
liberale Regierung an der tzerrschaft, die gegen Ioseph Lhamberlains ge-
walttätigen großbritischen Imperialismus, die gegen eine sehr eindeutige
Deutschenhetze bei den letzten Wahlen noch durchgedrungen war, und die
eben mit Home Rule für Irland geschichtliche Sünden des Britentums in
der Niederzwingung anderer Völker wieder gutzumachen sich anschickte?
Die innere Politik Englands im letzten Iahrzehnt, zusammengerechnet
noch mit der Demokratisierung der Verfassung (Vetobill gegen das Ober-
haus) und den Lloyd Georgefchen Sozialreformen war keineswegs dazu
angetan, die kriegerische Wendung der äußeren vorzubereiten.
Wieviel fpürbarer und drastischer sind inzwischen die Rückwirkungen
des äußeren Konflikts auf das innere Leben schon gewesen, wie mögen sre
sich noch entwickeln! Nur wer ermißt, mit welcher fast pedantischen Folge-
richtigkeit und Einfachheit die Grundlage allen englischen Verfassungswesens
durchgehalten worden ist durch Iahrhunderte, die Kabinettsbildung aus
der Mehrheitspartei, begreift in vollem Maße, wie geradezu revolutro-
nierend die Tatfache eines „Koalitionsministerrums" für den politischen
Normalengländer wirken mußte. Lngland hat bekanntlich, nach einem
etwas oberflächlichen Wort, keine Verfassung, es hat nur Präzedenzfälle;
mit jenem Vorgang ist es in eine auf die Zukunft nachwirkende Versassungs-
krife getreten.
Von ähnlich wichtiger grundsätzlicher Bedeutung sind aber auch dre
wirtfchaftlichen Folgeerscheinungen, die in England sich ergeben haben.
Ls hat einen eigentümlichen Reiz, den englifchen mit dem deutschen „Kriegs-
fozialismus" zu vergleichen. Dabei ergibt sich nämlich, daß das Land des
>-^-^-enn wir auch ganz gewitz kein Interesse daran haben, daß Lngland
P ^sich zur Linführung der allgemeinen Wehrpflicht entschließt, so
versolgen wir die Bestrebungen, das Heerwesen des Festlandes auf
die Insel zu verpslanzen, mit einer Mischung von Gesühlen, bei denen eine
gewisse lächelnde Schadenfreude nicht sehlt. Am den preußisch-deutschen
Militarismus zu zerbrechen, verbindet man sich mit zwei Mächten, die
durch ihre allgemein dreijährige Dienstzeit ihre Männer anderthalbmal
so nachdrücklich mit Kriegsvorbereitung beschäftigen, und kommt zu dem
Lnde, das verhaßte und bekämpfenswerte System in ein Mittel zum Zweck
umzubiegen.
Lin papiernes Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht in Lngland
würde bei dem heutigen Kriegsbetrieb wohl kaum eine überragende Be-
deutung mehr erlangen; die Dinge liegen doch anders als bei der levee
en masse der französischen Revolutionsheere. Aber das ist durchaus mög-
lich, daß als unmittelbare Kriegsfolge in England der Kampf um die
allgemeine Wehrpflicht einsetzen wird, und bei dem kaum vermeidbaren
Zusammenbruch der liberalen Regierung stehen dann die Aussichten für
die Befürworter dieses Amsturzes aller englischen Äberlieferungen und
alles britifchen „Stolzes" (der gerade auch auf der Freiheit vom Waffen-
dienst für das Vaterland ruht), verhältnismäßig günstig.
Für den vergleichenden Historiker, der auf die Wechselwirkung von
innerer und äußerer Politik blickt, ist ja gegenwärtig nichts so interessant
wie die Entwicklung der englischen Verhältnisse, weniges so sehr ein neuev
Beweis, daß die „auswärtigen" Fragen in viel stärkerem Amfang die inne«
ren beeinflussen uud umgestalten als umgekehrt. War nicht gerade eine
liberale Regierung an der tzerrschaft, die gegen Ioseph Lhamberlains ge-
walttätigen großbritischen Imperialismus, die gegen eine sehr eindeutige
Deutschenhetze bei den letzten Wahlen noch durchgedrungen war, und die
eben mit Home Rule für Irland geschichtliche Sünden des Britentums in
der Niederzwingung anderer Völker wieder gutzumachen sich anschickte?
Die innere Politik Englands im letzten Iahrzehnt, zusammengerechnet
noch mit der Demokratisierung der Verfassung (Vetobill gegen das Ober-
haus) und den Lloyd Georgefchen Sozialreformen war keineswegs dazu
angetan, die kriegerische Wendung der äußeren vorzubereiten.
Wieviel fpürbarer und drastischer sind inzwischen die Rückwirkungen
des äußeren Konflikts auf das innere Leben schon gewesen, wie mögen sre
sich noch entwickeln! Nur wer ermißt, mit welcher fast pedantischen Folge-
richtigkeit und Einfachheit die Grundlage allen englischen Verfassungswesens
durchgehalten worden ist durch Iahrhunderte, die Kabinettsbildung aus
der Mehrheitspartei, begreift in vollem Maße, wie geradezu revolutro-
nierend die Tatfache eines „Koalitionsministerrums" für den politischen
Normalengländer wirken mußte. Lngland hat bekanntlich, nach einem
etwas oberflächlichen Wort, keine Verfassung, es hat nur Präzedenzfälle;
mit jenem Vorgang ist es in eine auf die Zukunft nachwirkende Versassungs-
krife getreten.
Von ähnlich wichtiger grundsätzlicher Bedeutung sind aber auch dre
wirtfchaftlichen Folgeerscheinungen, die in England sich ergeben haben.
Ls hat einen eigentümlichen Reiz, den englifchen mit dem deutschen „Kriegs-
fozialismus" zu vergleichen. Dabei ergibt sich nämlich, daß das Land des