Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 28,4.1915

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1915)
DOI Artikel:
Weinel, Heinrich: Die deutsche Reichskirche
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.14421#0167

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die deutsche Neichskirche

1

^^n diesen großen Tagen, in denen sich im Deutschen Reich vollenden
^^will, was das neunzehnte Iahrhundert in Hossnung und Lrfüllung,
^-^in Krieg und Friedenstat ausgebaut hat, steigt auch ein halbvergesse--
ner Traum unserer Argroßväter wieder vor uns auf: eine einheitliche
Kirche des Deutschen Reiches. Gleichgültig, wie alles, was Kirche heißt,
den einen, die in politischem Gegensatz oder individualistischem Dünkel den
Wert der Kirche verkennen, phantastisch den anderen, denen schars gesehene
Wirklichkeit die Bedeutung des Gewordenen und Bestehenden allzu hoch
hinausgeschraubt hat, ist uns die alte Hosfnung aus eine kirchliche Eini--
gung unseres Vaterlandes mit großer Gewalt in die Seele gesallen. Frei-
lich so kühn, wie Fichte und Iahn und ihre Generation die Geschichte zu
meistern gedachten, so kühn wird heute auch der Kühnste nicht mehr träumen
und planen. „Es wird eine Religion sestgesetzt, über die alle ohne Zwang
und aus sreier Einsicht einig sein können; diese ist die Staatsreligion/
In hundert Iahren hat sich der Imperator des Geistes nicht gesunden, der
diesen Satz Fichtes hätte in Wirklichkeit wandeln können. Und selbst die
mildere Form, die ihm Iahn gab, eine „sreigläubige, einige deutsche Kirche"
sordernd, „in der Staatskunst, Volkstumskunde und Völkerlehre alles Wirk--
same einer Volksreligion hätten, ohne die Einwürfe der Sittlichkeit, Ver--
nunft und Menschheit^, erscheint uns heute einsach als eine geschichtswidrige
Träumerei. Eine einheitliche Staatsreligion würde entweder ein Minimum
sein, das keines Menschen Herz mit Begeisterung erfüllen könnte, oder ein
mittlerer Durchschnitt, der das Edelste und Feinste ebenso ausschließen könnte
und würde wie das Grobe und Gemeine. Wir sind im Laufe des neun--
zehnten Iahrhunderts nüchterner und klarer geworden über geschichtliche
Möglichkeiten.

Selbst das wird kaum einer heute noch erhoffen, was vor hundert Iah--
ren immerhin wie eine Möglichkeit aussehen konnte: eine deutsche Kirche,
die evangelische und katholische Deutsche in einer Organisation umfassen
könnte. Die Konsessionen sind Gegensätze von solcher Größe und welt--
geschichtlicher Festigkeit, daß selbst ein Weltkrieg gegen Deutschland sie nicht
zusammenpreßt. Auch wenn wir Evangelischen wollten und könnten, die
internationale katholische Kirche kann gar nicht mit einem Teil ihres Be-

t. Septemberheft t9t5 (XXVIII, 2s)

(29
 
Annotationen