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Kunstwart und Kulturwart — 28,4.1915

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Heft 20 (2. Juliheft 1915)
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Schmidt, Leopold: Modern und unmodern?: Eine Antwort
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Gürtler, ...: [Modern und unmodern?]: Gegenantwort
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https://doi.org/10.11588/diglit.14421#0078

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war gewiß ein nationales Lreignis, aber gerade nach ihm setzte jene
Periode technischen und programmatischen Lxperimentierens ein, das uns
jetzt in so ungünstigem Licht erscheint. Die Hauptsache aber ist, daß wir
uns die künstige Tonkunst nicht als gegen den „Fortschritt" gerichtet denken
dürsen. Es gibt in der Entwicklung keinen Rückschritt, und nur krast--
lose Scheinkunst versucht ihn vorzuspiegeln. Derselbe Wagner, der die
Melodie predigt, hat die, die „nichts Reues" machen, die „traurigsten
Künstler^ genannt. Es gibt keine Texte, die man heute, wie Gürtler
meint, im Stile Iensens oder Robert Franzens komponieren müßte. Der-
gleichen ist Sache der Talentlosigkeit. Ein wirklicher Komponist kann,
sosern er ehrlich ist, jeden Text nur „modern" empsinden und wieder--
geben. Ist einer kein Eigener, so ist es gleichgültig, in welches Meisters
Sprache er sich äußert. Als die „symphonische Dichtung" der Tummelplatz
unselbstandiger Talente wurde, habe ich mich gegen die Strauß-Nachahmer
genau so gewendet, wie ich mich jetzt gegen alle wende, die unsre Musik
versimpeln und in einer sogenannten „Rückkehr^ das Heil erblicken möchten.

Worauf es ankommt, ist jetzt und immer das „Können", worunter ich
nicht nur die technischen Fertigkeiten, sondern auch die Lrfindungskraft,
die irgendwie Neues hervorbringt, verstehe. Nicht ob eine Komposition
modern oder unmodern ist, entscheidet über ihren Wert; es sind ganz
andre Unterschiede, die in Frage kommen. Der Wandlung aber, die viel--
leicht zu melodiösen und weniger komplizierten Ausdrucksmitteln hindrängt,
wird wahrlich kein guter Dienst geleistet, wenn Nnfähigkeit und Dilettantis-
mus in ihrem Fahrwasser mitschwimmen. Stimmt der Zeitgeist weitere Kreise
solchen Versuchen günstig, so liegt darin eine ernstliche Gesahr. Deshalb
sind Bekenntnisse wie die Gürtlers dankenswert, denn sie schaffen Klar-
heit. Mit Klagen über das „Moderne^ und „Sensationelle^ ist es nicht
getan, auch nicht damit, daß man denen, die berufen sind die Wacht zu
halten, Voreingenommenheit und Unselbständigkeit des Rrteils vorwirft.
Nur positive Arbeit fördert. Wir lehnen die „Tageserzeugnisse" ab und
halten sie für bedeutungslos, nicht weil sie modern oder unmodern (im
Grunde sind sie keines von beiden), sondern weil sie erfindungslos, und
mit seltenen Ausnahmen schlecht gemacht sind. Nnd wir erwarten, bei
aller Anhänglichkeit an den Schatz des Alten, auch fernerhin das tzeil
der Tonkunst von dem innerlich Neuen, von einem gesunden und kräftigen
Fortschritt. Leopold Schnridt

Gegenantwort

^^ch habe weder Herrn Or. Schmidt etwas „untergeschoben^, noch „der
^^Kritik" unschöne „Vorwürfe^ gemacht, wie jeder unbefangene Leser
^lmeines Aufsatzes nachsehen kann, sondern ich habe mich bemüht, fest-
zustellen, was ich in einer größeren Zahl von kritischen Zeugnissen aus-
gesprochen fand. Aus Leopold Schmidts Betrachtungen über Berlinisches
Musikleben hatte ich ein Beispiel angeführt. Und auf die Beurteilung
der Tatsachen, die er anführte, kam es mir an. Er sprach von einem
Zurücktreten des „Fidelio", der „Zauberflöte", des „Don Iuan", des
„Heiling^, des „Wasserträgers", Gluckscher Werke usw., das bestritt ich
natürlich nicht; aber er meinte dazu, daß heute „andre Ideale", „andre
Bedürfnisse^ vorherrschten, mit denen die Gegenwart „Recht behalte" — und
das ist es, was ich schlechtweg nicht glaube. Ideale wechseln nicht so rasch
wie Moden. Schmidt sagt, nirgends verblasse selbst das Wertvolle schneller
als auf der Bühne. Aber das besagt für den künstlerischen Wert noch

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