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Kunstwart und Kulturwart — 28,4.1915

DOI issue:
Heft 22 (2. Augustheft 1915)
DOI article:
Werner, Ferdinand: [Abrüstung der politischen Parteien?]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14421#0130

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«^-K-nser Kaiser kennt keine Parteien inehr, nur noch Deutsche; der Füchrer
^8 der Konservativen rust dern Arnsturzmann von srüher sreundliche
^^Worte zu, und dieser preist den Iunker von Hindenburg als den
Retter Deutschlands. Die Sozialdemokratie begreift die politische und
wirtschastliche Notwendigkeit des Reiches gerade sür die Arbeiterschaft,
was nur für ganz besonders Harthörige allerdings erst durch einen welten-
wendenden Krieg zu beweisen war.

Millionen werden aus einmal staatsbürgerlich erzogen; tausend Dinge
stehen fortan seitab von jedem Streit; der niederziehende Kamps der
Parteien kam zur Rnhe. Wer mag den Mut haben, ihn wieder anfzu-
nehmen?

Ich glaube, es wird vielen der Geschmack daran endgültig vergangen
sein und dem Volke der Wille dazu sehlen.

Was Wunder also, wenn sich nun die Stimmen mehren, die des Partei-
wesens überdrüssig sind? Angesichts dessen, was die Parteien sast aus-
schließlich geworden, begreift sich der Wunsch des „tzammers", des „Volks-
erziehers^ und anderer durchaus: — möchte aus dem heutigen Parteikram
und dem Parlamentarismus mit seinen dürftig verhüllten wirtschaftlichen
Interessenvertretungen eine wahrhaftige, osfene Ständewahl hervor-
gehen, wie sie schon seit Iahrzehnten immer wieder gefordert wurde, und
wie sie bei der tatsächlich vorhandenen Zusammenschließung aller Beruse
auch wohl erreicht werden könnte.

In der Tat vermag ein guter Deutscher keinen Gesallen daran zu sinden,
den Streit ins Angemessene zu verlängern, so wenig wie er sich an der
Entwicklung des ganzen parlamentarischen Lebens ersreuen kann.

Angeblich ist ja der Abgeordnete — so steht es jedensalls ernsthast in
der Verfassung — nicht an „Aufträge und Instruktionen^ gebunden. In-
dessen gibt es wohl nicht allzuviele Reichstagsabgeordnete, die kein sogenann-
tes „imperatives Mandat" ausüben. Es erübrigt sich, hier die einzelnen
Berufsstände aufzuzählen, die den Herren Bewerbern um Reichstagssitze
ihre Bedingungen zur „gesälligen" Anterschrift vorlegen. Alle großen
Verbände suchen „ihre" Leute in die „Volks"vertretungen zu bekommen,-
man weiß ja auch genau, welche Partei ihr Pulver von der Börse, welche
es von der Großindustrie bezieht usw. Wieviele Abgeordnete sind glän-
zend bezahlte „Aussichtsräte"! Wieviele haben die berühmten „Stich-
wahlbedingungen" von j9s2 ohne Wimperzuck unterschrieben und als „freie^
Volkstribunen auf die Verfassung gepfissen! Wer vom Bau ist, der
kennt und begreift die klägliche Löcherigkeit der Freiheit eines Durch-
schnittsabgeordneten.

Weshalb jagen nun da die Berufsstände den ganzen Parteien-
zank nicht zum Belial, von dem er herkam? Warum nehmen sie ihre
Vertretung nicht selber in die Hand, damit Wahrheit und Klarheit im
Lande sei? Mit den Parteien wäre es dann freilich aus. Deshalb ist
der ein Tor, der meint, die heutigen Parteien würden freiwillig auf ihr
Dasein verzichten.

Das wird weder tzerr Erzberger tun, den der „Volkserzieher" darum
beschwört, noch sonst ein Parteiführer.

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