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Kunstwart und Kulturwart — 28,4.1915

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1915)
DOI Artikel:
Miltitz, Dietrich Freiherr von: Im Kriege selber ist das Letzte nicht der Krieg
DOI Artikel:
Nötzel, Karl: Die Zeit zum Umlernen
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.14421#0116

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Wildes. Man muß es aussprechen: das Erbe Weirnars ist im neuen
Deutschen Reiche noch nicht völlig geborgen. Das haben auch die Fremden
gesühlt, die zu uns kamen, die Sauberkeit unserer Straßen, die Pünktlich-
keit unserer Eisenbahnen und manches andere Gute bewunderten und
abreisten, ohne das gesunden zu haben, was einst Frau von Stael, die
glühende Verehrerin sranzösischen Wesens, zu ihrem Buch über Deutsch-
land begeisterte. Das soll nicht heißen, daß wir fremden Beisalls bedürfen,
um unseres Wertes gewiß zu sein. Soll aber der Sieg, um den wir jeht
ringen, ein Glück für alle sein, dann müssen wir rastlos danach streben,
Werte in uns zu entwickeln, die wir allein der Welt zu geben haben.
Wir bewundern einen Miltiades und Themistokles, aber dankbar sind wir
ihnen nur, weil sie das Volk gerettet haben, das die Kultur des Sophokles
und des Platon hervorbringen sollte. So wird auch einst das Verhältnis
der Nachwelt zu unsern großen Männern sein. Sie wird uns um Bis--
marck und Moltke beneiden, für Goethe wird sie uns danken. Auch das
größte Volk, das festeste Reich ist der Vergänglichkeit unterworfen, und
die Geschichte richtet sein Wirken. Dessen Nntzen für das Ziel der Mensch-
heit aber wird nicht nach Zahl nnd Größe der gewonnenen Schlachten
bemessen, sondern nach den Kulturwerten, den Ewigkeitswerten, um die
es die Menschheit unter dem Schutze seiner Siege bereichert hat. Daß
vor diesem Gerichte dem deutschen Volke noch nach Iahrtausenden der
Preis zuerkannt werde, das soll das Letzte sein in diesem Kriege. knI

Dietrich Freiherr von Miltitz

Die Zeit zum Umlernen

enn wir in diesen großen Tagen erkennen mußten, was falsch an
H Nuns war, und wovon wir eigentlich leben, und wenn uns dabei
^^^ein Heimatgefühl überkam wie nie znvor: in der beseligenden
Gewißheit, daß wir eins sein können mit nnserem ganzen Volke auch in
dem Besten, was in uns lebt, so sind uns damit ganz unversehens neue
gewaltige Pslichten erwachsen: dieses neue Ich, das sich da in uns osfen-
barte, verlangt ja nach neuer Anpassung an die Mitwelt. Vorerst hörten
wir erst auf, ungerecht zu sein gegen uns selber. Noch ruhen aber un-
berührt in uns unsre grundsählichen Rngerechtigkeiten unseren Mitmen-
schen gegenüber. Hier heißt es jetzt Hand anlegen: die Zeit des Nmlernens
ist gekommen sür uns alle, und sie traf uns im günstigsten Augenblicke:
nie war ja unsere Seele mehr darauf vorbereitet, die letzten Widerstände
einzureißen, die immer noch in ihr leben gegen die Gerechtigkeit zu ihres-
gleichen. Es sind das die Vorurteile unseres tzochmutes. Wie es so
kam, das wissen wir nicht recht, aber wir alle leben nun einmal heute
und lange schon in unserer Vorstellung auf dem tzintergrunde von Mit-
menschen, die wir irgendwie sür unter uns stehend halten, sei es, daß sie
ärmer sind als wir (und das ist immer noch, wenn auch ost unbewußt,
das Hauptmoment in allem, was Menschen trennt), sei es, daß sie uns
dümmer oder schlechter vorkommen, als wir uns selber erscheinen. Es
ist dies ein Thema ohne Ende. Hier beschränken wir uns aus das Greif-
barste, auf unsere plumpsten Hochmutsünden.

Von allen Angerechtigkeiten, deren wir uns dem Armen gegenüber
an jedem Tage schuldig machen, scheint mir keine einzige kränkender zu
sein, als die Mißachtung, die wir seinen Idealen entgegenbringen, und

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