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Kunstwart und Kulturwart — 28,4.1915

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1915)
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Avenarius, Ferdinand: Parlamentäre der Unbewaffneten?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14421#0063

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Parlamentäre der Unbewaffneten?

An Nomain Nolland

^>^er Sturm des Krieges^, so schrieben Sie neulich, „fährt fort zu wüten,
fer entwurzelt die krästigsten Geister und reißt sie in seinen rasenden
^ Wirbeln mit. Ich aber setze meine bescheidene Pilgersahrt fort und
suche unter den Trümmern die wenigen, die noch wie ehedem glauben, daß
wir Menschen Brüder sind. Eine wehmütige Freude, sie zu sinden! Ieder
ihrer Versuche, jedes versöhnliche Wort der Liebe ruft ja, wie meine eige-
nen, die Gefühle in beiden Feindeslagern gegen sich wach. Denn darin
sind die Gegner einig: daß sie die hassen, die nicht hassen wollen. Europa
gleicht einer belagerten Stadt, und das Fieber Besessener herrscht in ihr.
Wer nicht mit allen irre redet, ist allen verdächtig. Verdächtig nur? Ach,
die Gerechtigkeit hat jetzt keine Zeit zum Prüfen, wer des Verrates ver-
dächtig ist, der gilt auch schon als Verräter. Wer jetzt inmitten des
Krieges unter den Menschen den Frieden vertreten will, der weiß: er
setzt für seinen Glauben seinen Ruf auss Spiel, seine Ruhe und seine
Freundschaften."

Inwiefern können wir denn, Romain Rolland, inmitten des Krieges
den Frieden vertreten?

Schweigen wir zunächst davon, ob das nicht überhaupt Anmögliches
verlangt. Fragen wir nur, ob eine Aussprache zwischen Ihnen und uns
jetzt nützen könne. Wenn ich manche Ihrer neuen Aussätze lese, so empfinde
ich bis zum Staunen, wie schwer es dem Fremden sein muß, sich vom
geistigen Deutschland von heute ein Bild zu machen, das nicht von Wolken
aus Furcht und Hoffnung und Schmerz und Groll verdunkelt würde. Sie
wieder meinen, man könne sich mit uns nicht besprechen, weil wir die
Wahrheit zu haben glaubten, statt sie zu suchen. Uns scheint, das gilt
von Ihnen auch. Und wahrlich, wir alle hätten Entschuldigungen dafür
genug. Können wir denn jetzt zu einander sprechen? Können wir uns verstehn?
Zwischen Ihnen und uns liegen heut nicht nur Grenzen, die Vaterländer und
Völker trennen, liegen auch verwüstete Gaue mit verbrannten Dörfern und
zertrümmerten Städten und mit unabsehbaren Gräberreihen, in die Ihre

2. Iuliheft idts (XXVIII, 20)
 
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