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Kunstwart und Kulturwart — 28,4.1915

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Heft 21 (1. Augustheft 1915)
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Aus Rades Kriegsandachten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14421#0121

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nicht zwei Häuser, zwei Familien, sondern so gewiß die glückliche Familie
mit betrosfen wird vom Ilnglück der andern, so gewiß ist auch das Glück
jener sür diese da. Nicht mechanisch, automatisch, präzis wirkt dieser
Ausgleich. Der leidende Teil wehrt sich vielleicht stärker oder schwächer
dagegen. Aber tatsächlich: das Haus der Trauer könnte seine Traurigkeit
nicht tragen, wenn nicht im Nachbarhaus noch die Freude, die Gesundheit,
die Hosfnung, das Leben, das Glück wohnte. Die beiden Häuser zusammen
sind eins, sind eines Volkes, eines Leibes Glieder.

(Äberwindung des Bösen durch das Gute)

^vNe draußen nach und während der Schlacht der verwundete Feind
-^Vnns zum Freunde wird, so muß daheim mit dem leidenschaftlichen
Haß die Billigkeit und der Edelmut sich vermählen. Das sind keine Gegen--
sätze, das sind Assekte und Grundsätze, die erst zusammen eine tüchtige
Nation machen. Draußen vollbringt der Zorn, die Wut der ringenden
und stürmenden Krieger Taten, zu denen sie ohne das nicht fähig wären;
dabeim, im friedlichen Familienzimmer, können wir davon nicht leben.
Wir würden, wenn wir dem die Zügel schießen ließen, daran moralisch
zugrunde gehn. Nicht draußen im Felde hart, daheim weich — so geht
es auch nicht. Aber der starke Strom der Leidenschaft, der durch das da-
heimgebliebene Volk geht, muß durchschossen sein von einem ebenso starken
Strom der Friedensgesinnung. Sind wir darin nicht alle einig?

Aber dann dürfen wir den Forderungen der Rache und der Vergeltung
keinen Raum lassen. Als die Siegreichen, darum Ruhigeren und Besonne-
neren. Nnd als die sich gerade solchen Erfahrungen gegenüber einer
besseren Kultur bewußt werden. Nnd endlich als die, welche ein unge-
heures Maß von Vertrauen brauchen werden vonseiten der Völker, der
seindlichen wie der neutralen, wenn wir nach erlangtem Siege in erster
Linie berufen sein sollten, eine neue Welt aufzubauen. Darum — soviel
an euch ist — laßt euch nicht das Böse überwinden, sondern überwindet
das Böse mit Gutem.

(An die Zukunft denken!)

^he wir arbeiten, müssen wir wissen, was wir wollen. Nnd darum
^ist jetzt die erste Pslicht: nachdenken, was werden soll! Lassen wir
jetzt wieder die Dinge gehen wie sie wollen, so sind wir träge und faul.
Denil kein Druck vom Kriegsschauplatze her hindert uns jetzt daran. Auch
keine Zensur von oben. Es handelt sich auch gar nicht um sofortige
Aktionen, um Programme und Organisationen. Ls handelt sich darum,
daß jeder einzelne seine Stellung zu den öffentlichen Dingen, zu Kirche
und Staat und Wirtschaft und Gesellschaft redlich durchprüft; daß er Ziel-
punkte sucht für sein künftiges Handeln und Verhalten, die einem besseren
Zustande unsers Volks zugute kommen,- daß er Gesinnungsgenossen wirbt,
ganz bescheiden, in seinem Kreise, Männer und Frauen, nicht ihnen seine
Einsicht aufdrängend, sondern gerne von ihnen nehmend und lernend,
nur daß das Interesse des einen sich am andern entzünde und der Wille
zum Werk in der Gemeinschaft erstarke.

„Wann willst du ausstehen von deinem Schlaf?" Tausend Hände
sollten sich recken der neuen Arbeit entgegen. Wozu haben wir den
Frieden mitten im Krieg? Ist es nicht so? Haben nicht wir Deutschen
Frieden mitten im Krieg? Dann laßt uns auch dankbar dafür sein mit
der Tat.

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