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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1923)
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Schumann, Wolfgang: Kunstwart einst und jetzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0013

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Möglrchkeiten zur Gestaltung schöner Wohnungen und häuslicher Linrich-
tungen. Als kritischer Wächter gab der Kunstwart,dem Käufer von Büchern,
Noten und Bildern Richtung und Anweisung. Als leidenschaftlicher Kämp-
fer schuf er mit anderen die Bewegungen für künstlerische Erziehung, Hei-
matschutz, Denkmalschutz, „ästhetische Kultur" jeder Art, erhaltend, schöpfe-
risch und kritisch in einem. Anendliche Breite der Wirkung war gewonnen,
Scharen von Anhängern bekannten sich zu den gemeinsamen Zielen, zu tau-
sendfacher Aufmerksamkeit nach allen Richtungen waren die Führer heraus-
gefordert. Das Blatt wuchs an Amfang von Iahr zu Iahr, Beilagen wur-
den geboten, ein jährlicher „Ratgeber", Referate über Theater und Kunst
und Musik in allen großen Städten: Deutschlands ästhetische Kultur im
kritischen Spiegel, deutschen Bürgertums stolze künstlerische Selbstverwal-
tung — das war der Kunstwart, dessen „Kreis^ im „Dürerbund" organisiert
erschien. Richt konnte nun länger verborgen bleiben, daß die „künstlerische"
Bewegung allenthalben verwoben war in die wirtschaftliche, soziale, allge-
mein-geistige. Daß sie „Ausdruck" war tieferer und weiterer Zusammen-
hänge der Zeitgeschichte. Avenarius war der Mann nicht, zu zaudern. Er
wandelte den Kunstwart in ein Blatt für „Ausdruckskultur". Das
schwer verständliche Wort umriß den Gedanken, daß alles öffentliche Leben
uns Anzeichen der Gesinnung sei, welche als treibende Kraft seine Formen,
Bräuche und Ordnungen im Kern bestimme und so im ganzen wie im künst-
lerischen Wesen für sich allein erkannt, gesichtet und gerichtet werden könne
und müsse. Reue Mitarbeiter drängten zu dem Führerblatt, das nun alle
Fragen des öffentlichen Lebens — „Frauenfragen", Schulfragen, tzochschul-
fragen, Iustizfragen, Wirtschaftfragen, Pressefragen, Fragen der ethischen
und religiösen Kultur —, nur die tages- und weltpolitischen ausgenommen,
in den Bereich seines Wirkens zog. Mit zehn Bogen — hundertundsechzig
Druckseiten! — allmonatlich umspannte der „Kunstwart und ^Kultur -
wart^ das, was Avenarius nun als sein Arbeitsfeld proklamierte. Wir
wollen nicht leugnen, daß die Steuerführung damals schwer war. Tausender-
lei wollte berücksichtigt, tausenderlei bedacht sein, immer Reues drängte
heran, die leitenden Kräfte überblickten nicht immer aus eigner Arteilskraft
Tragweite und Sachgehalt der Probleme, der Kreis der Mitarbeiter weitete
sich ins Anübersehbare, der Kreis der Probleme ins Anbegrenzte. Dennoch
gelang der einzigartigen Kraft des tzerausgebers das Anwahrscheinliche:
die Führerschaft im Kerngebiet, dem künstlerischen, zu erhalten, und in den
neuen Bezirken dem Blatt Achtung und Anhängerschaft zu erwerben. Eine
„Kultur-Bewegung" schlechthin war um ihn erwachsen und schaute auf ihn
als den Führer.

Dann kam der Krieg. Mitten im deutschen Leben stehend, konnte Ave-
narius nicht daran denken, seitab zu treten und abzuwarten. Alles drängte
ihn, innerlich und äußerlich, zu leidenschaftlicher Teilnahme. Mit beispiel-
loser Energie stellte er den Kunstwart um auf „Kriegsarbeit". Er zerbrach,
zerschlug förmlich die Aberlieferung, gab das Blatt zum halben Preis im
halben Amfang und setzte ihm, unausgesprochen, doch nach kurzem Tasten
rasch herausgefühlt, das große Ziel: Stärkung der inneren Kraft und zu-
gleich klar-kühle Besinnung. Durch einen „Zufall" erlitt der Kunstwart
dann Schaden* das Papier wurde rationiert, und zwar nach Maßgabe des
Verbrauchs zu der Zeit, da wir uns, wie eben gesagt, freiwillig schon ein-
geschränkt hatten. Dennoch überstand das Blatt, halb politischl, halb kul-
turpolitisch wirkend — „Deutscher Wille" genannt —, die Krieg- und

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