Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1923)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0042

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
nnt der Torheit der Menschen, die Lebensglück,und Lebenssinn init der Elle
messen ivollen, da doch (wie Dostojewski klar ausspricht) jeder Tag, jeder
voll gelebte Augenblick des Lebens ganze Fülle, tiefste Seligkeit in sich
begreift. Schon mit dieser einzigen Wahrheit, würde sie in ganzer Tiefe
und Aufrichtigkeit ergriffen, wäre die Menschheit errettet, ihre Krisis auf
einrnal bestanden. In der ewigen Gegenwart, rn der Gegenwart des Ewigen
löst sich die geistige Krisis nicht bloß der heutigen, sondern jeder sich so
nennenden und glaubenden „Gegenwart", jeder solchen Gegenwart, die
gesten. noch nicht war, morgen nicht mehr sein wird. Paul Natorp

Vom tzeute fürs Morgen

Neubau

or meinem Fenster wird ein HauH
gebaut, tzaus für Menschen und
ihre Schicksale,- Kinder werden vielleicht
da erwachsen und in ihre späten Lräume
im Iahre — MO! wie wunderlich
das klingt! — werden Wände spieleni
und Lüren, Dunkelheit eines Ganges,
Licht einer Veranda, die alle jetzt er--
stehen auf dem Boden da vor mir.

Habe ichs doch richtig fast schon ver-
gessen gehabt, wie das aussieht: Haus-
bau. And habe es doch meine ganze
Iugend hindurch wohl täglich gesehen,
dreimal allein schon, daß auch für mich
mit gebaut wurde. .

Grund heben sie aus, Keller werdenl
gemauert, Fundamente gelegt, Balken-
werk, wie riecht es frisch und gesund!,
wird gefügt, Ziegel an Ziegel — jeder
ein Stück der alten Erde, in Feuer ge-
härtet — fliegen nur so zum Mauer-
werk zusammen, und schon blüht weißes
Dach-Gebälk in den blauen Märzhim-
mel, grüßt nach froher Sitte der Wim-
pelbaum von der Spitze, schon reihen
sie Ziegelfläche an Ziegelfläche zum
Dach, Hammerschlag klingt, Räder knir-
schen, Sandschütten, riechts nicht schon
nach ölfarbe, kommt der Gärtner nicht
schon, die Putzerin — ?

Gin Stück Leben, jugendvertraut,
regt sich da tausendfach. Warum doch
sehe ichs nie mehr? Wo doch, hier wirds
plötzlich offenbar, die alte Erde nicht
kargt und Bäume und Erdstoffe, Eisen
und — Menschenkräfte bereit hält wie
immer, im Aberfluß, nur gebrauchen.
müßt ihr sie, nur den Zauber wirken^
dann flattern die Wimpel von gehobe-
nen Dächern und künden neue Heim-
stätten.

Kluge Leute gehen vorüber und er-
zählen, Gift im Lon, ausländisches
Geld, die hohe „Valuta", baue das Haus
hier. „Ia, so einer kann sichs leisten!"

Sie werden wohl recht haben. Es
ist wohl einmal so, und meine ganze
Freude an diesem jungen Werden
schließt die Augen vor der nackten Lat-
sache, daß der „Zauber" — Dollar
heißt. .

Nein! nein! ändert denn das etwas?
Sehe ich nicht, wie sie schaffen, wie es
wächst, wie Erdentstammtes und Erd-
ernährtes zusammenwirkt zu heiterem
Gewächs? And weiß ich nicht, klüger
als die Giftigen, daß einmal diese
Dummheit enden wird — denn Dumm-
heit ists, macht euch nichts vor, die nun
alles in Lraumkrampf und Starre hält?
—, und es werden den Menschlein die
Augen aufgehen und allenthalben wird
wieder Hammerschlag klingen und Spa-
tengeklirr und Räderknirschen und es
wird aus der Erde wachsen, Heimstätten,
Träume für die Arenkel vom Iahre
2023? 2023! wie wunderlich das

klingt! — H. H.

Leben und Werke

an hört viel gedankenlose Wen»
dungen über die Wechselwirkung
zwischen Lebensführung und Leistung
des Künstlers oder des Gelehrten. Der
Schauspieler oder der Maler, der Mu-
siker oder der Dichter glaubt sich rein
sprechen zu müssen, indem er den
Grundsatz verbreitet, daß ein strenger
Anterschied zwischen Leben und Werk
gemacht werden müsse. Ähnlich spricht
der Wissenschaftler oder läßt er doch von
sich sprechen. Nietzsche schrieb einmal:
„Ich mache mir aus dem Philosophen
 
Annotationen