Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI issue:
Heft 7 (Aprilheft 1923)
DOI article:
Lose Blätter
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0041

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Grnbesdunkel mehr zu fürchten, vermug kein Fehl, kein A.nvernrögen der
endlichen Kraft uns mehr zu scheiden von!der Gnade und haltenden Macht
des Göttlichen. Wohl sind alle schuldig an allen, aber freudig sollen sie
sich selbst schuldig erkennen und bekennen, so ist schon alle Schuld von ihnen
genommen und getilgt, so sind wir schon im Paradiese, wie Dostojewskr es
unablässig predigt.

Muß noch die Lndgültigkeit dieser Entscheidung ausdrücklich be--
tont werden? Ls ist die einzige Rettung der tief gesunkenen Menschheit, die
einzig mögliche und wirkliche Lösung ihrer Krisis. And (wie schon gesagt)
nicht nur um eine neue Phase einer ünd derselben geistigen Lntwicklung
handelt es sich, um eine bloße neue Spiralwindung einer und derselben
sich auswickelnden Kurve. Das wäre, bloß mit wachsendem Radius, Wieder-
holung qualitativ desselben Kreislaufs, und würde nur die gleichen Nöte
und Angste nochmals verschärft hervortreiben. Sondern es ist Lrhebung in
eine ganz andere Dimension, aus der gesehen jede Phase des sich entwickeln-
den Linienzugs gleich geltend, jeder Augpunkt gleich allbefassend, alles Liw-
zelne aber, in seiner Vereinzelung, gleich gewichtlos.und als solches über-
wunden und abgetan ist. Das gibt nichl nur die große Gelassenheit gegen
alles, was auch tzärtestes uns treffen kann, sondern weit darüber hinaus
den mächtigen Schwung des Widerstands und des Hinauf- und Vorwärts-
dringens. So behält ihr volles Recht auch eines Gorki entschlossene
Tatbereitschaft, volles Recht das Lvangelium der Arbeit in ihrem Sakka-
mentsinn^, im Geiste des freien Opferns, des genossenschaftlichen Füreinan-
dereinstehens. Gorkis Verwahrung gegen den „Karamasoffismus" wird pon
da aus verständlich, aber sie trifft nicht den Kern der echten Dostojewski-
Gesinnung, sondern allenfalls die Mißverständnisse, die sich>, wie an alles
Große, auch an sie geheftet haben. Dostojewski fordert doch aufs bestimmteste
(liest man denn n'icht das Schlußwort der „Werdejahre" ?) die neue For-
mung, den neuen Aufbau, statt des ewigen Riederreißens; er erklärt iich
die Leidenschaft des Riederreißens gerade aus einem geheimen Durst
nach Ordnung und Form, zu denen nur der Boden erst freigelegt werdeni
muß. Sei erst der „Zorn des Tages" überwunden, so werde schon der neue
Aufbau nicht ausbleiben.

Lndlich, man werfe uns nicht wieder Orientalismus vor. „Gottes
ist der Orient, Gottes ist der Okzident, nord- und südliches Gelände ruht im
Frieden seiner tzände": dabei soll und wird es bleiben. Der Orient ist
nicht weltverneinend; er war es nie, ich glaube selbst nicht in Gautama.
Lese man doch die einzige wundersame Parabel vom Messerstichzeitalter,
die soeben A. Paquet wieder in Lrinnerung bringt. Sie paßt schlagend auch
auf die gegenwärtige Lage der Menschheit, sie gibt klare Antwort auch auf
unsre schwersten Fragen. And diese Antwort trifft merkwürdig überein
mit Dostojewskis, mit des echtesten Christentums unbedingt bejahender
Grundstellung zu Welt, Leben und Menschheit. Des Inders ergreisendes:
„Ach Guter, daß du nur lebst!" ist genau, worauf auch die überhaupt dem
ganzen Sinn nach verwandte Parabel der „Werdejahre" hinauskommt.
Es ist zuletzt nichts als die altvertraute, einzig rettende Verkündigung der
Menschenliebe und All-liebe. Allenfalls nur sinnlich-irdischer möchte Gau«
tamas Fassung scheinen — wenn es ihr so ganz ernst wäre mit dem
Anterschied, ob des Menschen Lebensdauer zehn Iahre betragen soll oder
achtzigtausend. Aber das ist am Lnde nur humorvoll-symbolisches Spiel

^ Rach Alf. Paquet, Rom und Moskau. München, Drei-Masken-Verlag.

36
 
Annotationen