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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1923)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Von Brueghel zu Rousseau: ein neues Kunstwart-Unternehmen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0066

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I

W


Von Brueghel zu Rouffeau

Ein neues Kunstwart-Anternehrnen

^-vänger als ein Iahrzehnt dauert es nun an, daß im europäischen Kunst»
M Eschaffen Absichten zum Ausdruck kommen und in Werken sich kundgeben,
^^welche weit von den vorher lange Zeit hindurch geltenden abweichen.
Eine große, ungeschlossene und unorganisierte, aber wahrhaft tiefgehende
„Bewegung" ist entstanden. Mannigfache „Richtungen", zum Teil offen-
sichtlich nur auf Durchgangs- und Entwicklungsstadien, ja auf abwegige
Aberspanntheiten hinzielend, sind sichtbar geworden, vom Futurismus
und Kubismus bis zum Dadaismus und Satanismus. Mit einigermaßen
sicherem Gefühl hat die Öffentlichkeit für die ganze Bewegung den Bamen
beibehalten, der am häufigsten erklang: Lxpressionismus. Den Bamen
also, der zugleich das entscheidende seelische Streben der Epoche benannte,
das SLreben nach freiem und starkem Ausdruck, im Gegensatz zu einem künst-
lerischen Streben, das, über Generationen hin herrschend, gewiß nicht in
ausdruck losen Werken sich kundgab, aber vorwiegend und in erster Instanz
auf Abbildung sichtbarer Gegenstände gerichtet war, gleichviel ob es als
Ateliermalerei oder Freilichtkunst, tzistorien- und Genre- oder Landschaft-
darstellung sich auswirkte.

Die Bewegung, gesellschaftpsychologisch, gesellschaftgeschichtlich und mensch-
lich unvergleichlich tiefer begründet als die Ein- und Zwei-Iahr-Moden der
jeweiligen bildnerischen Dechnik, hat ein wunderliches Schicksal gehabt. In
den Kreisen der Künstler, der erklärten Kunstliebhaber, der Berufskritik
„setzte" sie sich allmählich durch. Wenn je ein „Sieg" erfochten wurde, so
von dieser Bewegung, welche das künstlerische Antlitz der Zeit heute prägt
und bestimmt und in organischer Fortbildung zu klareren und höheren
Zielen steht. Die breitere Öffentlichkeit aber, das ^Publikum" ging nicht
mit. Befremdet) spöttisch und höhnisch oder auch betrübt und verständnislos
abgewandt, hält es fest an seiner überlieferten Einstellung und Anschauung,
die Kluft zwischen Schaffenden und Volk ist inzwischen riesengroß geworden,
und noch immer ist keine Aussöhnung abzusehen. Das nun mag>auf der
einen Seite der Künstlerschaft zu denken geben; sie wird sich vielleicht ein-
zugestehen haben, daß es zuweilen eine innere Nötigung zu Schaffensweisen
gibt, die vorübergehen muß, so zwanghaft sie auch auftrete und so fruchtbar
sie auch sei, vorübergehen, weil sie zu Schöpfungen drängt, die schlechterdings
ausschließliche Angelegenheit des Künstlertums selber bleiben müssen. Ander«

Maiheft M5 (XXXVI, 8)
 
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