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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI issue:
Heft 8 (Maiheft 1923)
DOI article:
Schumann, Wolfgang: Von Brueghel zu Rousseau: ein neues Kunstwart-Unternehmen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0067

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seits aber ist es nicht ertragbar, wenn ein großerund ernsterTeil der Völker
Iahre hindurch eine so, sagen wir es offen: philisterhaft hochmütige und
engsichtig abweisende Stellung zu dem mindestens doch lauteren und tief
ernsten Streben seiner Künstler einnimmt. Glaubt man nicht, daß die Werke
einer Epoche Bestand für alle Zeiten, glaubt man nicht, daß sie ihre Quelle
in großen und wertvollen Erlebnissen und Gesinnungen haben, so sollte
doch mindestens die innere Wtigung zugegeben und der „Sinn" gesucht
werden, der denn doch schließlich in einer Bewegung solcher Breite und
Stärke stecken muß. Mcht heilsam, für keinen beider Teile, kann die Ent--
fremdung und gegenseitige Verhöhnung sein.

Wir haben es als eine der vornehmsten Aufgaben des neuen Kunst»
warts empfunden, dieser Entfremdung entgegenzuarbeiten. Unser nächstes
größeres, binnen kürzester Frist erscheinendes Werk ist eine Mappe mit dem
Titel „Von Brueghel zu Rousseau". Sie umfaßt einundzwanzig
Bildwiedergaben, farbige und einfarbige, dazu einen einleitenden größereu
Aufsatz über Quelle und Sinn der herrschenden Bewegung und zu den Bil»
derrr einstellende Begleittexte. Die Bilder sind nicht alle modernen Ur--
sprungs, wie schon der Titel ankündigt. Der alte, heute so „zeitgemäße"
Brueghel ist vertreten, auch Altdorfer und deutsche Volkskunst. Dies zum
Zeichen und Beweis, daß die tzeutigen nicht irrsäligen, lediglich zeitgeborenen
Einfällen und Launen schöpferisch nachgeben, sondern im überzeitlich«
lebendigen Zusammenhang mit künstlerischen und volklichen Strebungen
stehen, die zwar zuweilen verschüttet, doch nie erstorben find. Von schöpfe«
rischen Kräften des „Abergangs" ist neben Busch, van Wogh und Klimt
dann mit zwei Urwaldgemälden Henri Rousseau vertreten, dessen Genie und
Bedeutung zu ehren uns besonders angelegen war. Von Heutigen Paula
Modersohn-Becker, Karl tzofer, Max Pechstein, Franz Domscheit, George
Groß, Wafsily Kandinskh, Georg Berlich, Chagall.

Von langer tzand vorbereitet, legen wir das Werk in die tzände nament«
lich der Leser des Kunstwarts selbst. In dieser Zeit ist es keine Kleinigkeit,
kein geringes Wagnis, ein Anternehmen dieses Amfanges herzustellen»
Die kunstwartliche Absicht, die wir damit verfolgen, hat uns dazu bewogem

Es bedarf wohl kaum eines Wortes darüber^ daß wir mit solcher Arbeit
nicht „Partei ergreifen". Der Streit der Richtungen und Tagesmeinungen,
als Symptom zuweilen wichtig, geht uns im Tieferen nicht viel an. Selbst die
große Gesamtbewegung unb ihre vornehmsten Früchte nun über alles andere
der Welt zu stellen, ist nicht unsere Absicht. Daß etliches Vergängliche in
dieser wie in jeder Bewegung auftauchte und sich dem Tag aufdrängte,
wissen wir recht wohl und glauben sogar von der kommenden Kunst, der
Frucht der noch herrschenden Bewegung, schon Anzeichen und Erstlinge zu
gewahren.* Künftige Anternehmungen des Kunstwarts werden das erweisen.
Für heute aber, und nicht zuletzt zur Vorbereitung der Empfänglichkeit für
die kommende Kunst, lag die Aufgabe klar vor Augen: mit saller tzingabe
und restlosen Eindringlichkeit, in einer Art, die jedem Gebildeteu
verständlich sein soll, zu zeigen, welchen letzten Sinn und welche besonderen
Qualitäten die Kunst der Zeit aufweist. Denn darüber allerdings wollen wir
keinen Zweifel lassen: weltbedeutender Sinn wohnt nach unserer AuffassunA

^ Die Mappe „Von Brueghel zu Rousseau" ist zusammen mit dem neben
unterzeichneten Leiter des Kunstwarts von dessen künstlerischem Mitarbeiter Pro--
fessor K. Hanusch, Direktor der Kuustschule zu Plauen i. V., zusammengestellt und
bearbeitet worden.

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