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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 8 (Maiheft 1923)
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Arno Nadel: Der Ton
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Hartwig, Ernst: Von Wilhelm Heinrich Riehl
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0078

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leben, so knmrnere dich nicht um das Kleine. Iawohl. Willst du göttlich
leben, beachte auch das kleinste Ding. Lbenfalls: jawohl. Was ist nun
geleistet?

Indessen ist das Nadelsche Buch mehr, als ein Häuflein solcher Brocken.
Das Stärkste daran ist die Atmosphäre inniger Hingabe an „Gott", das frohe
Ia-sagen zu allem, was das Leben tut.

Dieses Buch, das in seiner Stimmung heute keineswegs vereinzelt dasteht,
ist mitsamt dieser Nachbarschaft vielleicht ein geringes Anzeichen dafür, daß
aus dem zerfahrenen, behäbig-materialistischen „Weltbild" der letzten Iahr-
zehnte allmählich wieder etwas Bluthafteres aufwachsen will. Zeit genug
seit dem kräftigen Anstoß, seit Nietzsche, wäre verstrichen. M. E.

Von Wilhelm Heinrich Riehl

H. Riehl — der halbverklungene Name eines körperlich putzigen
^F^H kleinen Mannes, dessen Träger einst als Schriftsteller und Nedner
in Deutschland eine nicht unbedeutende Nolle spielte. Er würde
im Mai dieses Iahres hundert Iahre alt werden, und so entspricht es guter
Sitte, seiner zu gedenken. Novellen und Romane hat er in großer Zahl
geschrieben, die seinen Zeitgenossen Freude machten; weit verbreitet war
und scheint noch zu sein das kunstgeschichtliche, eigenartige Skizzenbuch
„Musikalische Charakterköpfe"; er war ein echter Musik-Liebhaber von tüch-
tiger Bildung, und seine geschichtlichen Kennlnisse vereinten sich mit den
musikalischen zu reicher Anschauung sozialer und ästhetischer Sachverhalte;
am stärksten wirkte >er mit sogenannten kulturgeschichtlichen Werken, welche
man heute etwa „soziologische", auch wohl „volkskundliche" nennen würde;
er nannte sein Hauptwerk „Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage
einer deutschen Sozialpolitik" und behandelte darin Land und Leute, Die
bürgerliche Gesellschaft, Die Familie; neben diesem wirkte sein Buch „Die
deutsche Arbeit". Aus diesen Schriften nun hat Paul Zaunert eine Aus-
wahl getroffen und mit lesenswerter Einleitung über den Mann und sein
Werk herausgegeben: „Vom deutschen Land und Volke" (Diederichs, Iena,
XXXII und 268 Seiten). „Diese Ausgabe soll Riehl wieder im deutschen
Volke lebendig machen" . . .

Riehl — „lebendig"? „im deutschen Volke"? Nun, das wird nicht
gelingen. Es gibt im geistigen Leben Dinge, die tot sind und tot bleiben,
unD dazu gehört Riehls „Naturgeschichte". Darüber ist keine Besorgnis
vonnöten. Selbst Zaunerts eigene Einleitung, sorgsam gelesen, beweist
das. Es wäre auch nicht zu wünschen. Liest man heute in Riehls Schriften,
so drängt sich eins mit erstaunlicher Deutlichkeit auf: wo er theoretisch wird,
ist er zur Gänze erledigt; ein kindlicher Romantiker von äußerlich bestechen-
der Schreibweise, zu seiner eigenen Zeit schon erheblich unter dem Niveau
der soziologischen Einsicht, die errungen war, das Rrbild und Schulbeispiel
eines naiv-tendenziösen Drauflos-Machers, der in Wahrheit aus einigen
subjektiven Neigungen und persönlichen Schrullen, vielfach sich unbewußt
und fast komisch selbst widerlegend, eine in dürftigen Schlagworten von
sympathischem Reiz daherklingende soziale Theorie, ein stets belanglos gewe-
senes und gebliebenes Progrämmchen zurchtschneiderte, dessen Hauptinhalt
die Aufrecht-Erhaltung oder Wiederherstellung der korporativen „Stände"
als Gegenmittel gegen „ausebnende" Tendenzen der Zeit und das Lob
der „Familie" als Grundlage des Weltgebäudes bildeten. Größtenteils
 
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