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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 9 (Juniheft 1923)
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Gemeinschaft, Geltung, Macht, Erwerb und Besitz: (siebenter Teil der Betrachtungen über die Antriebe des menschlichen Daseins) , [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0121

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Gemeinschast. Geltung. Macht. Erwerb und Besitz

(Siebenter Leil der Betrachtungen über die Antriebe des rnenschlichen Daseins.)

s ist nicht gut, sagte Iahve, daß der Mensch allein sei, und verfiel
dabei auf den bemerkenswerten Gedanken, ihm das Weib zur Ge-
fährtin zu gesellen. Aber der Mensch, so Mann wie Weib, ist allein
geblieben, nmgürtet von einem öden Okeanos des Schweigens, den nicht
einmal der Schrei zum andern durchdringt. Linsamkeit heißt der schleichende
Notstand der Person: die schwerste Aufgabe für jedes individuelle Leben
überhaupt und durch keine noch so durchgebildete Gemeinsamkeit je auf«

zuheben".^ , ^ > ! ! !

Was hier gesagt wird, kennzeichnet die Kehrseite eines starken mensch-
lichen Triebes, der auf Gemeinschaft, auf Nicht-Allein-Sein ab-
zielt. Nahezu alle unsere Triebe vergemeinschaften uns in ihrer Auswir-
kung: Wirtschaft, die „Betriebsform des Nahrungtriebes", ist ein Kollek-
tivbetrieb; Wissenschaft, die „Betriebsform des Wissenstriebes" sst dem
Alleinstehenden unmöglich; Lrotik als „Betriebsform des Geschlechtstriebes"
— wenn dieser drollige Ausdruck noch zulässig ist — verwickelt uns in
Romane und Erlebnisse mit dem Du; Ausdrucktrieb wendet sich, gleichviel
welche Verwirklichung er sucht, an die Anderen — mit Recht sagt Ziegler:
„Persönliche Leistungen, welche die Gemeinschaft in keiner Hinsicht suchen
oder diese als äußeren Ziel- und Richtpunkt geradezu verneinen, gibt es
vermutlich nicht"; fügen wir hinzu: wenigstens keine komplizierteren, die
Persönlichkeit als Ganzes anfordernden; Furcht als Rrstimmung und als
heimlich-immerwacher Motor ohne eigne Verwirklichungsart stärkt alle sozi-
alen Triebe und wächst umso dämonischer in der Einsamkeit empor; Liebe
verbindet uns dem Menschen und dem Menschtum. — In alle diese Triebe
aber geht als eigner Motor und selbständige Kraft der Trieb zur Gemein-
schaft schlechthin ein; nichts begehrend, nichts veranstaltend; nichts bietend
als eine Weniges vom Ich, nichts fordernd als ein Weniges von den
Andern; menschtümliches Erbe urältester tzerkunft, denn, wie immer wir
den Arsprung und Anfang des Menschengeschlechts im Sinne der Natur-
wissenschaft denken, wir sehen tzordentiere und „Menschen"-tzorden vor uns,
Lebewesen, verbunden in kleineren und größeren Gemeinschaften. — Eine
eigene reine Verwirklichung hat der Trieb nicht. Eine Gemeinschaft einzig
um der Gemeinschaft willen wäre ein ziemlich leeres Wort, ein „soziologisches
l'art pour l'art". Die geordnete typische Gemeinschaft verwirklicht in aller
Regel noch Zwecke, auf welche andere Triebe abzielen als der Gemein-
schafttrieb. Die Ehe dient geschlechtlicher, die Familie nutritiver und andrer
wirtschaftlicher Befriedigung; Vereine sehen sich Zwecke (hier allerdings
kommt in einigen Fällen das Ziel der Gemeinschaft zuweilen ziemlich rein
zur Geltung, doch fehlt gerade in diesen Fällen gemeinhin Ordnung und
Gewähr dauernden Bestandes); Gemeinden, Städte, Volks-„Gemelnschaf-
ten", Staaten dienen ungezählten Aufgaben objektiven Eharakters. tzin-
wiederum würde kaum eine Gemeinschaft, von sehr einhelligen Zweck- und
Interessen-Vereinigungen etwa abgesehen, überhaupt Bestand, sicherlich
keine einzige so langen Bestand haben wie wir ihn täglich beobachten und
aus der Geschichte kennen, wenn nicht Gemeinschafttrieb als innerstes, oft
unbewußtes, doch stetig wirksames Bindemittel sie zusammenhielte. Ehen
und Familien würden ohne ihn rasch und vielleicht in aller Regel zerfallen,

* Leopold Ziegler, Volk, Staat und Persönlichkeit, S. 171.

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