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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1923)
DOI Artikel:
Bekker, Paul: Kunst, Schrifttum und Musik dieser Zeit: offener Brief an den Herausgeber des Kunstwarts
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Schumann, Wolfgang: Antwort: [auf: Kunst, Schrifttum und Musik dieser Zeit]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0259

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Dann werden wir es als unsere Aufgabe erkennen, an der Beseitigung
dieser künstlichen Trübungen mitzuwirken, indem wir sie beim Namen
nennen, heißen sie nun Opernintendanzen, Konzertdirektionen, Kapellmeister,
Verleger, Sortimenter, Musikkritiker, Ouartettvereinigungen oder noch anderes.

Ich sehe eben, daß ich da in einen fast streitbaren Ton verfallen bin.
Aber Sie selbst sind schuld daran, verehrter Herr Schumann, indem Sie
der „neuen Musik" sozusagen das Schwierige ihrer Erreichbarkeit mit
freundschaftlicher Befremdung zum Vorwurf gemacht und ihr dabei den
„Kunstwart" zur gastlichen Unterkunft angeboten haben. Dieser Vorschlag
hat mich veranlaßt, mich zum Worte zu melden in der Aberzeugung, durch
die scheinpolemische Form meiner Ausführungen in Wahrheit Ihren eige-
nen Wünschen entgegenzukommen. Gegenüber einer so unmittelbar dem
Leben entwachsenen, allem Atelierhaften grundfremden Kunst wie unserer
Musik kommt es nicht darauf an, ihr eine Zeitschrift, ein literarisches
Forum, ein Propagandaorgan mehr zu gewinnen. An Presseerfolgen ist
gar nichts gelegen. Es kommt darauf an, diese Kunst und das Leben, dem
sie zugehört, einander faßbar zu machen, dem Leben zu zeigen, daß die
Kunst wirklich da ist, der Kunst, daß das Leben ihrer bedarf und auf sie
wartet. Aus dem Verlangen nach solcher Mittlertätigkeit glaubte ich Ihre
Aufforderung interpretieren zu dürfen, und deshalb hielt ich es nicht für
überflüssig, anzudeuten, daß die neue Musik sich erheblich reichlicher und
kräftiger betätigt, als vielfach angenommen wird, und daß sie allen gegen-
wärtig Lebenden verständlich sein wird, sobald diese die Energie aufbrin-
gen werden, sie hören zu wollen.

Hierzu ein wenig angestachelt zu haben ist der Wunsch

Ihres freundschaftlich ergebenen Paul Bekker

Antwort

^^^-ichts konnte erwünschter sein als Antwort auf meinen Aufsatz, als
F Ihr offener Brief, verehrter Herr Bekker. Möge er in Wahrheit
^ ^helfen, Kunst und Menschen, die einander zugehören, einander zu
nähern.

Zur Sache nur wenige Worte. Als „führend" habe ich bildende Kunst
bezeichnet fast mehr aus dem Gefühl ihrer „zahlenmäßigen" Verbreitung
heraus, ihres überall sichtbaren, vielleicht allerdings „äußerlichen" Sieges.
Dieser, unter Amständen unwichtige, Unterschied zur neuen Musik bleibt
wohl bestehen: gehen Sie in die Kunst- und Buchhandlungen, fragen
Sie nach Büchern über Pechstein, Nolde, Marc oder Kandinski, und Sie
werden Vorrat und Bereitwilligkeit antreffen. Oder, um eine Parallele
zu den Konzertinstituten zu ziehen: gehen Sie in Ausstellungen, und der
Anblick wird gleichmäßig sein: neue Kunst. Oder bei den Verlegern: schon
fast übertriebenes Mitgehen mit der neuen Kunst. Oder im Theater:
„expressionistische", mindestens „expressionistelnde" Raumgestaltung, sogar
in Dresden und Leipzig. Dagegen berichten Sie, der Musiker, von
Hemmungen überall. Diese, die äußere Führung, hat noch die bildende
Kunst, das Gewinnen der Aufmerksamkeit Tausender für das neue
Weltgefühl; wobei offen bleibt, wie tief denn die Geister selber gewonnen
werden. Denn darüber habe ich allerdings, gewissermaßen „schuldlos",
nicht genug gewußt, daß die Musik, wie Sie sagen, ihrerseits nun auch
schon als Ausdruck und Gestalterin des neuen Weltgefühls weithin auf-
zutreten berechtigt ist und auftritt. Wenn es so ist, dann wird sie aller-

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