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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 7 (Aprilheft 1923)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0044

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ter sich über diese übelriechende Gegen»
wart erhebt und aus ihren unerwünsch-
ten Umarmungen befreit. Vortrefflich!
Wer verstünde nicht den sympathischen
Rat, die Sache auch einmal von der
andern Seite zu nehmen, in all dem
ständigen Kladderadatsch nicht allein
das Einkrachen des lieben alten Gebäl-
kes, sondern auch das Hinsinken des
alten Gefängnisses zu erblicken. Und
der junge oder alte Mann in der „Nuß-
schale" auf dem Ozean, fern allen Luxus-
kabinen der Dollarwelt, das Steuer in
der Faust, Blick über die Wogen hin
und zu den Sternen hinauf — L la
bonheur! Aber sagt mir eines: warum
in aller Welt nehmt ihrs ein für alke-
mal so blutig-bitter»todernst? Unsereiner
ist wahrhaftig auch kein oberflächlicher
Springinsfeld, aber — lachen will man
doch auch einmal! Das befreiende Lachen
kennt ihr, scheints, überhaupt nicht! und
ist doch so anerkannt gesund nicht nur,
sondern auch ertüchtigend . . Ihr aber,
selbst den Wild-Afrika-Film, dieses
munterste aller Spiegelbilder der Tier-
und Menschheit und ihrer gottsjämmer-
lich nahen Verwandtschaft, selbst unseren
weiß der Teufel oft genug springheite-
ren Kreidolf, selbst die Groteske der
„modernen" Wohnungsausstattung —
den „Möbelkarneval", das Prohenheim,
die Hausgreuelwirtschaft — behandelt
euer würdiger Sachverstand, als ob ihr
die letzten Probleme der Menschheit vor
euch hättet, und wenn nicht neulich einer
von euch, wenigstens einer und ein
Mal!, gelächelt hätte (über jenen Herrn
Brandl in Berlin, der sein bißchen Ge-
scheitheit an Shakespeare vergeudete!),
wenn nicht ein „Prof. E." da neulich
einen aufgelegten Bier-Rlk in euer
Blatt geschmuggelt hätte (wie gelangs
nur?), dann würde niemand mehr glau-
ben, daß ihr von der Kehrseite der tra»
gischen Medaille jemals auch nur ein
Schwänzchen gesehen habt. Und es
lohnt sich doch wahrhaftig, sie zuweilen
ganz gründlich zu betrachten!"

Wir antworteten ihm: „Wissen Sie,
daß wir diesen Mangel mit unserer
ganzen Zeit gemein haben? Wir Kunst-
wärter sitzen bekanntlich in der erhöht,
nahe beiAvenarius' päpstlichem Sessel,
errichteten „Kunst-Warte", und in dieser
camera obscura zieht im Strom von
Büchern, Zeitschriften, Korrespondenz

noch immer ein tüchtig Teil Zeitge-
schehnisse an uns vorüber. Da sitzen
nun wir Greise, die Alters-Pfeife im
zahnlosen Mund, und wundern uns:
Humor hat niemand mehr! So ist er
auch uns vergangen, von den Arsachen»
die in Altersbeschwerden und sauertöp-
fischem Charakter liegen, ganz zu schwei-
gen. — Im Ernst, es ist so! in doppel-
tem Ernst: wir bedauern es kaum! denn
Deutschland hat herzlich wenig Talent
zu Humor. Immer waren wir, und
nicht zuletzt die berühmten Busch oder
Fritz Müller oder uns noch näher
stehende Herren, immer waren wir in
Gefahr, über die Brücke des „Humors"
allzuweit hinüberzugleiten >in das ver-
ruchte Land der Schadenfreude, der
Mißgunst, der Spießigkeit, des allzu,
ach allzu „gesunden" Menschenverstan-
des oder der Galligkeit und des klein-.
lichen Rachegeistes. Haben wir denn,
von ein paar Simplizissimus-Leuten
abgesehen (nicht den berühmtesten, die
Satiriker waren!, und Gulbransson
ist kein Deutscher!) mehr als einen Hu-
moristen von Rang gehabt in den letz-
ten fünfundzwanzig Iahren, mehr als
den einen Christian Morgenstern? Oder
fanden Sie, daß Otto Crnst in Betracht
kam? Für uns kam zuweilen der ver-
storbene Ludwig Lhoma, mehr noch
Hanns von Gumppenberg in Betracht,
aber der wollte nicht mehr Humo-
ristika zubereiten! Sehen Sie, es ist
eine Rang-Frage. Feierlich beken-
nen wir, daß wir Humor nicht um
seiner selbst willen bevorzugen. Will
er Einlaß, so hat er nachzuweisen, daß
er vom gleichen Rang ist wie der Ernst,
dem wir das Blatt öffnen, und das
ist in Deutschland seltener als etwa in
Lngland, Holland oder selbst Skandi-
navien. Er ist in der ganzen Welt sel-
ten. Anf zehn ernste Genies kommt
noch lange nicht ein einziges lachendes.
Es ist einmal so! Und wenn man so
einen berühmten Lacher liest — du
meine Güte; kürzlich las ich zweihun-
dert Seiten Rabelais: wer kann das
verdauen, diese ständige Mischung aus
Zrasy und Stinkkäse! And so gehts
uns oft (wenn wir nicht gerade den
trefflichen Plautus zur Hand nehmen,
den Gurlitt uns schenkte!).

Daß aber wir selber mit so leichen-
bitterlicher Miene auftreten, diese Rüge


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