Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1923)
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0099

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
bildet das neueste Glied der Kette ge--
diegener Auswahlbände, die W. v.
Molo seit längerem im Verlag Al--
bert Langen, München, erscheinen läßt,
und möge ihm zur besonderen Emp--
fehlung dienen. K.-L.^j

twas vom Frieden Gottes leuch-
tet aus Kellers Werk. Es ist bestes
Hausgerät, auf das, aus dem lieblich
die ewige Sonne scheint, Vorfrüh-
lingssonne, sinkende Sonne, nicht die
volle, pralle Sonne, die furchtbar
schöpferisch reinigend die Amwetter und
Gewitter braut. Kellers Werk erinnert
an die schöne, biedere alte deutsche
Handwerkskunst, die verschwand — er
war nicht umsonst eines Kunstdrechslers
Sohn — nach der wir uns alle heim-
lich in stillen Stunden ein wenig seh-
nen. Keller war geistig ein Lehrling
der Klassik, er erwarb seinen Gesellen-
titel bei Goethe; als sich Keller „selb-
ständig machte", erinnerte sein „Be-
trieb", daß er bei „erstklassigen" Mei-
stern „gelernt" hatte, daß er im besten
Sinne, so „würdig", als er vermochte,
„sein Publikum" nach seines Meister
Grundsähen „bediente". „Würdig ist
der, der das, was er unternimmt, recht
betreibt und immer an seinem Orte
etwas Äüchtiges leistet, wenn dieses
auch nichts Anerhörtes und Erzur-
sprüngliches ist!" So war Keller. Gin
großer Humorist, ein Humorist, dem
Humor Gemüt nnd Sittlichkeit bedeu-
tet. Gr war ein gutes Original. „Ist
mit einem guten Original ein mit dem
Herzschlag gehender innerlicher Witz
verbunden, so üben solche Menschen
auf ihre zeitliche Amgebung und oft
über den nächsten Kreis hinaus eine
erhellende und wärmende Wirkung,
die manchen eigentlichen Geniemenschen
versagt ist." Knurrigen, zeitüberlegenen
Lächelns voll, hie und da nicht ganz
„schicklich" in seiner äußeren Geba-
rung als Mensch, innerlich aber als
Dichter stets vornehm wie seine ange-
betenen Meister offiziell waren, deren
Größtem, Goethe, er so viel abgeguckt
hatte, daß er dessen Worte schließlich
als seine eigenen ansah, war Keller.
An einem deutschen Fürstenhofe lebte
Goethe, sein bester Schüler, der beste
Prosastilist nach Goethe, der lebendige
Fortführer des Goethe-Stiles war
Schweizer. Die Länder waren ver-

schieden, die Zeiten auch. Keller ist
ein Splitterchen von Goethe. Keller
ist der Hort der still gewordenen Sehn-
süchte zum Höchsten, die schließlich
Ruhe Glück nennen, die sich nicht mehr
„aufregen" lassen wollen und können.
Wer „still" genießen will, wer Goethe
nicht mehr ganz oder noch nicht ver-
steht, liebt Keller. Keller ist heute der
Liebling der deutschen Familie. Die
Demokratie, die die Schweiz vor uns
staatlich anerkannt besaß, ist jetzt als
herrschendes Prinzip in Deutschland
eingezogen. Sie ist dem deutschen
Bürgertum im tiefsten Wesen vom
Mittelalter her, als wir noch eine
Städtekultur und daher eine Städte-
kunst hatten, eingeboren. Was sich
in den Iahrzehnten vor dem Weltkrieg
still verborgen in der Begeisterung für
Keller verriet, ist jetzt öffentlich ge-
worden: es war zu viel Anspannung,
zu viel befohlene Blechmusik, das
deutsche Volk will wieder singen; der
„Militarismus" ist weg, wir schießen
heute, wie die in Kellers Heimat schon
früher, auf Scheiben. Statt fürstlicher
Orden ziert uns jetzt das Bändchen des
Schützenmeisters, statt des fürstlichen
Bildnisses mit „eigenhändiger Anter-
schrift" steht nun der erschossene, erlau-
fene, erschwommene, ersprungene, er-
spielte Ghrenpreis im Familienglas-
schrank, statt des Bdels gilt jetzt der
„Rat". Die seelischen und zeitlichen
Zusammenhänge mit dem demokrati-
schen und daher realistischen Roman-
tiker der Schweiz, dem größten Schwei-
zer Dichter, sind offenbar. Keller ist eine
Ausgeburt der deutschen bürgerlichen
Volksseele. Seelisch gehört diedeutsche
Schweiz ja zu uns, sie ist ein süd-
deutscher Stamm mehr im bäumerei-
chen Wald unsres Geistes. Was wir
an Keller lieben, ist seine unbedingte
Ehrlichkeit, sein Patriotismus ohne
Phrase, das Gleiche, das, doch so sehr
anders, in einem anderen „Süddeut-
schen", in Schiller war; Freiheitsge-
fühl, verwurzelt mit der Scholle, die
ewige Freiheitssehnsucht des siedelnden
deutschen Bürgertums.

Otto Gildemeisters „Geburtstags-
organ"

fOtto Gildemeister war Zeitung-
mann und Politiker in den Iahren
von ^8^6 bis 1890. Bm bekanntesten

8f
 
Annotationen