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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 9 (Juniheft 1923)
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Bartsch, Rudolf Hans: Aus Rudolf Hans Bartschs "Froher Botschaft des Weltkindes"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0128

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Wer aber ist Lr? Wenn man mir nur zwei Worte ließe, um ihn zu
umschreiben, so müßte ich sagen: „Bewußtlose Vervollkommnung".

Werkt ihr aber, daß jedes dieser beiden Worte zugleich ein persönliches
Fortleben nach dem Tode für euch selber ausschließt? Darum füge ich
an diesen ersten Satz, ihn zu lieben, sogleich den zweiten: Die Todesangst
völlig überwinden, ja den Tod als Weubeseeler, als Nachhauseführer, als
Erlöser von namenlosem Heimweh zu empfinden. Nun aber weiß ich für
beide nichts Besseres, als was beide eint, ja eins ohne das andre unmöglich
erscheinen läßt: Gott zu lieben in der „unbewußten" Natur, seiner und
unserer unermeßlichen Heimat!

Die Natur mehr lieben als den Menschen!

Da soll man den Menschen über alles lieben! Statt ihn sorgsam auszu«
wählen, ob er als Bruder wohl so ebenbürtig, milde und beglückend sei,
wie der Baum, die Wolke und das stille, duldsame Tier?

Nichts, was der Galiläer sagte, dürfte man mehr entbehren und nichts
streichen von feiner Lehre; es ist alles frisch;, ewigschön und wahr. Nur er«
weitern müssen wir sein Wort endlich. Endlich: Äus unsern feinnerviger
und weitsehender gewordenen Sinnen heraus und aus tzerzen, durch welche
inzwischen die Erkenntnisse und Feinheiten von zwanzig Iahrhunderten
gezogen sind, seit er wandelte! Noch heute kennt der Italiener das anklagende
Tier kaum, und das gilt uns und den Nordländern der Liefste, vielleicht
einzige Vorwurf, den wir ihm machen. Nur der germanische Nordländer
und der Inder haben sich der Gottheit auch hier andachtvoll und ohne häß-
lichen, gottzerstörenden Hochmut zu nähern gewußt. Kennt ihr denn Tier
oder Pflanze? Kaum einige selig zu preisen.de Forscher wissen ein wenig von
diesem unserm Mutterfchoße.

Warum ergreift uns der Anblick einer Straße am meisten dann, wenn sie
eine Höhe erreicht oder gar stundenlang über freie Höhen zieht? Warum
eine Kirche, wenn sie über die Waldtannen einer Bergspitze hinaus ihren
kleinen, roten Turm emporstreckt? Warum ein Wirtshaus in leerer Ebene,
an vereinsamter Wegbiegung unter den einzigen Bäumen der ganzen Fläche
mehr, als das schönste in belebter Straße? Warum ein Maibaum? Warum
ein einzelstehendes Bauernhaus) warum überhaupt die eigensinnige, reiche,
einzelhafte Parzellierung vieler, verschiedener, also bunt gearteter Be-
sitztümer? Weil all das einsam ist. Nnd hervorragt. Weil es des Men--
schen Tiefstes ist, einsam zu sein und hervorzuragen. Nnd weil es jämmerlich
unwahr ist, daß er den Weg der Ameise und Biene zu gehen habe, Am
zu versinken im Massenwesen. Widerführe ihm das, er bliebe nicht Mensch.
Mensch mit einer einsamen, mit einer Höhenseel.

Ich sage aber, daß ich mit Wonne jenes Volk aussterben und sein Land
veröden sähe, das andauernd von Korporalsnaturen geführt würde.

Sie bliebe ja, die ewig ersehnte Natur.

Daß ich sie mehr liebte als meine Mutter und mein Familienhaus, daß
ich aus und zu ihr durchbrach, wo und wie ich nur konnte, wer wird mir's
 
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