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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 10 (Juliheft 1923)
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Chinesische Landschaften
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0159

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keiir ästhetisches Heilkraut gewachsen sei;r. Ich wüßte zu manchen chinesischen
Bildern „Erläuterndes" zu sagen, zu diesem, einem der absolut meister-
lichsten, die wir kennen, kein Wort.

Hvus welchen Gründen quillt hochgesinnter Menschen Liebe zu den Land-
^schaftsbildern? Der Mensch ist seiner wahren Natur gemäß gerne
in einem Garten voller Anhöhen und Bäche, deren Wasser lieblich klingend
zwischen den Steinen hinabgleitet. Welche Freude bereitet schon der Anblick
eines Fischers, der im einsamen Aachen seinem träumerischen Geschäft sich
hingibt, oder ein Förster, der in abgeschiedenem Winkel einen Baum fällt)
oder die wilde Bergwelt mit spielenden Affen und Reihern. Hingegen ist
nichts so geschmackwidrig als Geräusch der Geschäftigkeit einer Stadt) und
man beneidet naturgemäß das Los der Weisen und Ginsiedler) die immer-
fort an der Schönheit der Natur sich weiden. Allein zu unserer Zeit, da
Kaiser und Volk in vollkommener Eintracht leben und jeder sich bemüht,
das Wohl des Reiches zu fördern, da wäre es wider die Ordnung, wollte
einer eigensüchtig die Gesellschaft verlassen und sich in die Berge zurück-
ziehen. Ieht ist es nicht an der Zeit, um der Einsamkeit der Berge willen
die Geschäfte der Welt zu verlassen, wie es einstmals Hsia tzuang, Kung Chi
und Chi Ping in Ehren taten. Iene alten Dichtungen waren ohne Zweifel
Schöpfungen hochgesinnter Männer, die, unfähig, für das Erdenleben zu
sorgen, sich damit trösteten, daß sie der Aachwelt in Versen den Ausdruck
ihrer Sehnsucht hinterließen. So sehr die meisten Menschen ein Verlangen
haben nach dem Genuß eines Lebens mitten unter der Fülle der Aatur,
so ist es ihnen doch verwehrt, solchen Genüssen sich hinzugeben. Rm aber
hiesem Bedürfnis genug zu tun, haben Künstler sich angestrengt, Landschaf-
ten wiederzubilden, so können die Leute die Größe der Natur betrachten,
ohne vor ihre Haustür hinauszutreten." Kuo Hsi schrieb diese Worte,
ein Maler des lch Iahrhunderts. Sie bilden den Eingang seiner Schrift
„Erhabene Bilder von Wald und Strom" (Fischer). Sind es nicht Ge-
danken von heute, aus dem Alltag unserer Zeit, die er nüchtern und liebens-
würdig ausspricht?

tto Fischers Buch ist keineswegs ein Tafelwerk mit begleitendem Text.
^ Sondern eine Abhandlung voll umfassender Kenntnis und von bedeuten-
dem Tiefgang. Man liest selten eine so eindringliche und zugleich so um Ver-
ständigung mit dem unvorbereiteten Leser bemühte Arbeit. Fischer meidet
nicht das Fachliche. Er gibt eine gegliederte knappe Geschichte des Gegen-
standes und eine sehr einläßliche Zergliederung des Künstlerisch-Technischen.
Doch beides in gepflegter Sprache und beides als Vorbereitung für eine
Deutung dieser alten Kunst) welche schrittweise, vorsichtig und geistvoll
bis in ihre letzten philosophischen, geistgeschichtlichen und lebensmäßigen
Voraussetzungen, bis in Gefüge und Kern des chinesischen Mensch- und
Volkstums hineinführt. Ein weiter und tiefer Rundblick in die „Welt"
einer großen, reifen und schöpferischen Kulturgemeinschaft tut sich auf, und
die wohlgelungenen Abbildungen, die trotz aller notwendigen Mängel
einen brauchbaren Begriff von der Sache geben, bekräftigen seine Anlage
und Hinführung, zumal Fischer wie Wenige versteht, einem Kunstwerk
unmittelbar den naheliegenden, vorletzten und letzten Sinn deutend abzu-
gewinnen. Ich betrachte die Zeit, die ich dem Buch widmen konnte, als
eine der fruchtbarsten und schönsten meines Lebens . . .

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