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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 10 (Juliheft 1923)
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Schumann, Wolfgang: Gemeinschaft, Geltung, Macht, Erwerb und Besitz: (Siebenter Teil der Betrachtungen über die Antriebe des menschlichen Daseins) , [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0179

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Zwei Meirschen, durch Freundschaft, Liebe, Lhe, GeschäftHemeinschaft ver«
bunden, beabsichtigen der Natur ihrer Verbindung gemäß gemeinsames
Wirken, Zusammenspiel und Gemeinschaft. Anwahrscheinlich ist der Grenz-
fäll, daß Wille znr Gemeinsamkeit und — ebenso angeborener — Wille
zur rücksichtlosen Bewegungfreiheit sich zur vollen Harmonie und stetig
gleichgerichteten Zweier-Wirksamkeit die Wage halten. Aberwiegender Frei«
heitdrang wnrde die Gemeinschaft zerrütten; übertriebenes Zusammen-
stimmen langweilt, lähmt und verblendet leicht. So ergibt sich, da Macht-
trieb in den meisten leicht anspringt, ganz von selbst die ZweckmLßigkeit
eines Verhältnisses von je nachdem weiter oder weniger weit gehender
„Anterwerfung" auf der einen, „Vorherrschaft" auf der andern Seite. Wel--
ches nicht vom „Anterworfenen" als Demütigung empfnnden zu werden
braucht, sondern in Millionen von Fällen seine Zustimmung hat.* Das
so charakterisierte Zweier-Verhältnis gibt das Vorbild ab zu allen mensch-
lichen Gruppen-Verhältnissen. Iede menschliche Gruppe dient gemeinsamen
Zwecken, will gemeinsame Ziele, will mindestens „Zusammenspiel" und
bedarf unter allen Amständen eines Minimums von Organisation. Solche
aber stellt sich — ist sie nicht durch gesatzte Ordnung, durch Sitte oder Äber-
lieferung einfach gegeben — umso schwerer „von selbst" her, je zahlreicher
die Gruppe ist. Das „Viel Köpfe, viel Sinne" steht entgegen. „Von selbst",
das heißt: bei völligem Machtgleichgewicht unter 'allen Beteiligten, entsteht:
Geschwätz, Diskussion, Lähmung und Zerfall. Wirksamkeit, belebte und
fühlbare Gemeinschaft, Organisation entsteht kraft des Machttriebs Lin-
zelner, welche Führung erlangen und — organisieren; herrschen und be-
fehlen, während die Andern freiwillig ausführen und sich fügen. — Be-
kannt sind die Konflikte und die tzochsteigerungen des Machtwillens. Zer-
würfnis schon im Zweier-Verhältnis erwächst, wenn beide Beteiligten von
leidenschaftlichem Machttrieb gespornt werden. Konflikte in der Gruppe
erwachsen aus der Konkurrenz der Machttriebe mehrerer Führungtüchtiger
oder Führungsuchender. Verknüpft mit Erwerb- und Besitztrieb, gestaltet
Machttrieb die Organisation der Volkswirtschaften, dle seinem durchgeistigten
Walten ihre Struktur, seiner Rnzähmbarkeit ihre anarchisch-zerrissenen
Züge, Reibungen und Billionen-Verluste an ungenutzten und vergeudeten
Werten danken. Das aussichtreichste Gebiet hochstrebenden Machttriebes
ist das staatliche, wie denn Machttrieb die Staaten im heutigen Sinne des
Wortes zwar vielleicht nicht, gewiß nicht alle geschaffen, wohl aber durch-
wegs strukturiert hat, und wie im Staat die größten Machtpositionen
winken, welche menschliche Gemeinschaft kennt, nicht nur, indem „nach innen"
etwa einem Staatsoberhaupt gewaltige Macht verliehen sein kann — man
denke an Lenins Allgewalt über hundert Millionen von Menschen, sondern
auch „nach außen" wirkende, „Weltgeschichte machende" Gewalt nur auf
dem Amweg über staatliche Machtstellung erlangbar ist. Den Machttrieb
gestrichen — und die Staaten zerfallen in Anarchie oder „Verblödung".
Machttrieb ist der große Organisator der menschlichen Lebens- und Zweck-

^ Ein sehr weiter Vergleichs-Sprung: Wilson wollte in berühmten Manifesten
jede Regierung auf die „Zustimmung der Regierten" gegründet wissen. Skeptiker
und Anarchisten haben bestritten, daß es Derartiges gebe; sie irrten: mit vollem
pshchologischen Recht beriefen sich Verteidiger Wilsons darauf, daß die Menschen
nicht gegen die Macht schlechthin, sondern gegen die gewalttätige nnd schließlich
gegen jede nicht innerlich „anerkannte" Macht eingenommen seien, daß es aber
solche „Anerkennung" und mithin „legale" Macht sehr wohl kraft menschlicher
Anlage gebe.
 
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