Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI issue:
Heft 12 (Septemberheft 1923)
DOI article:
Schumann, Wolfgang: Deutschlands Weg
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0254

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
geistigung uns geworden, hätte unser Erbe Frucht tragen können. Schlecht
freilich waren wir vorbereitet auf diese Volksarbeit. Eine kleine Gruppe
hochgesinnter Männer wußte darurn — in der Paulskirche. Aber schon
setzte alte deutsche Schwäche ein. Nie hatten wir rational gerichtete Willens»
kräfte von höchstem Nang hervorgebracht. Selbst Luthers urgewaltige
Persönlichkeit hatte versagt vor dem Problem zeitlicher Lebensordnung und
hatte das künftige Luthertum Deutschlands, seine stärksten Stämme, lebens-
fremd eingestellt. Der einzige Freiherr vom Stein war früh gestorben,
sein Werk preisgegeben. Ohne Äberlieferung ging das Deutschtum an den
Bau des neuen Hauses. Wir haben die Aufgabe in technischem Sinne
erkannt und gelöst. Wissenschaft und Technik wurden ins Werk gesetzt,
deren Oualität die Erde achtet. Tugenden kennzeichnen sie, die nicht gering
sind. Nirgends ist so gründlich, so präzis, so sachergeben, so fleißig, so diszi--
pliniert und prompt gearbeitet worden, wie in Deutschland. Melleicht ward
nicht mehr als bei anderen bei uns erfunden — so reich auch Deutschlands
Rrheberanteil am Weltschatz der Technik ist —, doch es gab keine Erfindung,
die nicht bei uns systematisch und hartnäckig bis zum Außersten ausgenutzt
und -gestaltet wurde. Nnermüdlich haben wir uns emporgearbeitet. Die
Leistung war riesengroß. Alle wissen es, und wir dürfen es aussprechen.
Doch sinnlos ist es, zu glauben, die seien Goethes und Beethovens Volk, die
es vollbrachten. Die Geschlechter, deren drittes nun emporkommt, haben
von dem Erbe der Alteren genommen, was „brauchbar" war: die Keime
und ersten Früchte emsiger Wissenschaft, die Pslichtgesinnung und die Sach-
lichkeit. Was darüber hinaus lebenbestimmend hätte werden können an
geistiger tzaltung und Gesinnung, das blieb allzu laut gepriesene Ver-
gangenheit, blieb Anlaß fruchtlosen Stolzes und gefährlicher Einbildung,
daß es unser Wesenszeichen sei. Das neue Volk der Deutschen kannte
den Adel und die Freiheit nicht, aus denen alles große Deutsche von ehe-
dem geboren war. Wer wollte heute deswegen rechten und schmähen!? Es
ist ein Schicksal. Deutschland war veräußerlicht und unterwürfig-unter-
worfen. Die äußere Aufgabe: Wohlstand, Wirtschaftapparat und Macht
zu erzwingen, hat alle Kräfte beansprucht. Der innere Widerstand gegen
Veräußerlichung war in der neuen slavisch-deutschen Volksgemeinschaft
gering. Das Reich war ihr geschenkt, nicht ihr Werk. Sie war den Schen-
kern unterworfen und fühlte es kaum. Das ist das Entscheidende. Daß
daneben unser reiches, tausendfältig begabtes Volk an Geistigem zeitlich
Großes und in Fülle schuf, daß eine achtbare Schicht das Erbe kannte,
verstand und feinsinnig-tatenarm genoß, daß Vereinzelte die Gefahr er-
kannten, deren tiefsten Sinn schon Nietzsche begriff und leidenschaftlich
aussprach, bestreitet nur feindseliger Tadel und dumpfe Selbstanklage.
Entscheidend aber war die andere Seite.

Wir wissen es nun. Im tiefsten Ilnglück haben wir das Glück, die
Zeichen der Zeit zu erkennen. Nicht als ob wir im Ausgang des Krieges
das Walten eines gerechten, strafenden Schicksals anerkännten! so wenig
wir unsere Alleinschuld am Kriege zugeben, so wenig sind wir schwächlich
genug, seinen Ausgang als verdiente Sühne zu würdigen. Wir durften
schwer bedrängt werden — nicht im Interesse der Gegner, die nicht „besser"
waren als wir, doch zum eignen Heil —, wir durften der Vernichtung nicht
überliefert werden. Freilich, die Vergangenheit des deutschen Volkes an-
zurufen, war kindisches und nichtiges Bemühen! weil unsere Geschichte von
Goethe und Beethoven berichtete, gebührte uns nicht Schonung. Nichts

226
 
Annotationen