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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1924)
DOI Artikel:
Fuchs, Emil: Kant und Wir: zu Kants 200. Geburttag: 22. April 1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0032

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gestalten muß. Sie schant hinaus in Volk und Menschheit und drängt
hinaus, dort sich zu verwirklichen — nnd ist nicht mehr da, wenn sie sich
nicht mehr verwirklichen will — nnd es ist nicht zuletzt Kant, dessen Schrif--
ten durchzogen sind vom großen Fragen, wie Freiheit nnser Teil werde, wie
Recht mit Friede zu schaffen sei in allen Beziehungen der Menschsn, in
Politik, in dem Verhältnis von Volk zu Volk, über die ganze Erde hin.

V.

Wieder einmal war es ein Linbrechen der Wirklichksit in den Kreis
des Gedankens, als Kants Werke erschienen. Man glaubte die Wirklichkeit
erfaßt und merkte uicht mehr, wie man sich von ihr abgeschlossen hatte. —
Und wenn der Mensch eine Maschine schafft, das gehört dazu bei allem
großen Entdecken und Erfinden, daß man dies ahnende Gesühl unerfaßter
Wirklichkeit hat, von da aus tiefer das Wesen der wirkenden Kräfte schaut,
sie ahnend versteht und dann einordnet iu das Gebilde, mit dem man
sie in des Menschen Dienst zwingt.

Hingabe, Einordnung — Voraussetzung aller fortschreitenden
Eedankenbildung. — Zuerst werden wir gelebt durch das große Geheimnis
alles schaffenden Lebens. Nur wer sich zunächst einnral leben lassen kann,
erlebt jene Wahrheiten, die in jedem menschlichen Gedanken, in all den
geistigen Gesetzmäßigkeiten, die in uns im Lause der Iahrhunderte ge-
worden sind, ihren Niederschlag, ihre annähernde Fassung fanden. Im
Mitleben mit dem Geheimnis, das sie lebt, hat die Menschheit das alles
geschaffen. Fertig ist es eine Formel, die der Wirklichkeit fern hält.
Den mit ihr Lebenden wird es altes Künden und Wegen, auf denen man
dem Geheimnis näher kam. Äber das Formulierte hinausgestaltend schaut
er in Ahnungen etwas mehr vom Geheimnis, kann es ahnend gestalten,
gestalteud mehr in den Dienst der Menschheit zwingen. Aber alles, was
er sertig stellt, ist wieder außerhalb und muß wieder überwunden werden
von dem, der sich dem hingibt, was durch uns lebt und zugleich der grenzen-
losen Wirklichkeit schaffendes Leben ist. — Mystik — die eine ewige Form
aller Ehrsurcht — so ganz verschieden je nach dem Gebiet und der Tiefe,
in der ein Mensch diese Hingabe und dies Sichlebenlassen vollzieht. Sie
aber ist Voraussetzung alles lebensvollen Erfassens der Wirklichkeit und
alles Anwendens der Denknotwendigkeiten, das Wahrheit und nicht Wirk-
lichkeitsserne schaffen soll. Kant? Nein! Nnd doch hat einer seiner ersten
Schüler das schon aus Kant gelesen, Schleiermacher, der in der Religion
neue Tiefe suchte und sein wissenschaftliches Denken auf diese Mystik grün-
dete. Für Kant ruht die Notwendigkeit des Denkens gegeben in uns. Es
bleibt aber das große Rätsel, daß wir mit diesem aus uns geschaffenen
Denken eine Erkenntnis der Wirklichkeit schaffen können, die uns zum
Handeln und Weltbeherrschen befähigt. — Es ist deshalb so, weil alles
Denken und alle Denknotwendigkeit entstand, in dsm Menschen sich leben
ließen von dem Rauschen der Wirklichkeit durch sie hindurch, und das zu
fassen suchten in die einheitschaffende Macht ihres Geistes hinein. —
Nie werdsu wir die Wahrheit des Denkens erdenken können. Nie werden
wir auf dem Weg des Gedankens beweisen können, daß der Gedanke die
Wirklichkeit saßt. Voraussetzung alles Denkens ist das Sichlebenlassen durch
die Wirklichkeit und die Hingabe an sie und das Sichbeugen unter ihr
großes Geheimnis. Wer dem sich hingibt, dem bildrn sich die ewigen Not-
weudigkeiten des Wirklichen in kleinen, widerspiegelnden Gedankennotwrn-


 
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